Grundgesetz der Republik Estland

 

vom 28. Juni 1992
in Kraft getreten am 29. Juni 1992

geändert und ergänzt durch
Gesetz über die Einführung des Grundgesetzes vom 28. Juni 1992 (Riigi teataja 2003 26, 350);
in Kraft seit 29. Juni 1992
Grundgesetzänderungsgesetz vom 25. Februar 2003 (Riigi teataja 2003 29, 174);
in Kraft seit 17. Oktober 2005
Gesetz über die Ergänzung des Grundgesetzes vom 5. Oktober 2003 (Riigi teataja 2003 64, 429); in Kraft seit 6. Januar 2004
 

In unerschütterlichem Glauben und standhaften Willen, den Staat zu sichern und zu entwickeln;
der aufgrund des unauslöschlichen Selbstbestimmungsrechts des estnischen Volkes geschaffen und am 24. Februar 1918 verkündet wurde;
der auf Freiheit, Gerechtigkeit und Recht beruht;
der den inneren und äußeren Frieden schützt und dem gesellschaftlichen Erfolg und dem gemeinsamen Nutzen der heutigen und kommenden Generationen dient;
welcher die Erhaltung des estnischen Volkes und der estnischen Kultur durch alle Zeiten garantieren muß -

hat das estnische Volk aufgrund § 1 des 1938 in Kraft getretenen Grundgesetzes in der Volksabstimmung vom 28. Juni 1992 folgendes Grundgesetz angenommen.
 

I. Abschnitt.
Allgemeine Bestimmungen.

§ 1. Estland ist eine selbständige, unabhängige, demokratische Republik, in welcher Träger der obersten Staatsgewalt das Volk ist.

Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit Estlands sind unverjährbar und unveräußerlich.

§ 2. Der estnische Grund und Boden, die Territorialgewässer und der Luftraum bilden ein untrennbares und unteilbares Ganzes.

Estland ist seiner Staatsordnung nach ein Einheitsstaat, dessen territoriale Verwaltungseinteilung gesetzlich festgelegt ist.

§ 3. Die Staatsgewalt wird nur aufgrund des Grundgesetzes und mit ihm übereinstimmenden Gesetzen ausgeübt. Allgemein anerkannte Grundsätze  und Normen des Völkerrechtes sind ein untrennbarer Bestandteil des estnischen Rechtssystems.

Gesetze werden im vorgesehenen Verfahren veröffentlicht. Nur veröffentlichte Gesetze sind rechtsverbindlich.

§ 4. Die Tätigkeit der Staatsversammlung, des Präsidenten der Republik, der Regierung der Republik und der Gerichte beruht auf dem Prinzip der Trennung und des Gleichgewichts der Gewalten.

§ 5. Die Naturschätze und -ressourcen Estlands sind ein Gut des Volkes, mit welchem sparsam umzugehen ist.

§ 6. Die Staatssprache Estlands ist Estnisch.

§ 7. Die estnischen Staatsfarben sind blau-schwarz-weiß. Die Staatsflagge und die Form des Staatswappens werden durch Gesetz bestimmt.

II. Abschnitt.
Grundrechte, Freiheiten und Pflichten.

§ 8. Jedes Kind, dessen einer Elternteil estnischer Staatsbürger ist, hat kraft Geburt das Recht auf die estnische Staatsangehörigkeit.

Jeder, der als Minderjähriger die estnische Staatsangehörigkeit verloren hat, ist berechtigt, diese zurückzubekommen.

Niemandem kann die durch Geburt erworbene estnische Staatsangehörigkeit entzogen werden.

Die Bedingungen sowie das Verfahren für den Erwerb, den Verlust und die Wiedergewinnung der estnischen Staatsangehörigkeit bestimmt das Gesetz über die Staatsangehörigkeit.

§ 9. Die im Grundgesetz aufgezählten Rechte, Freiheiten und Pflichten aller und des Einzelnen sind für estnische Staatsbürger und sich in Estland aufhaltende Bürger ausländischer Staaten und Staatenlose gleich.

Die im Grundgesetz aufgezählten Rechte, Freiheiten und Pflichten werden auf juristische Personen insoweit erstreckt, als dieses mit den allgemeinen Zielen der juristischen Person und dem Wesen ihrer Rechte, Freiheiten sowie Pflichten im Einklang stehen.

§ 10. Die im vorliegenden Abschnitt aufgezählten Rechte, Freiheiten und Pflichten schließen keine anderen Rechte, Freiheiten und Pflichten aus, die sich aus dem Sinn des Grundgesetzes ergeben oder mit ihr im Einklang stehen, sowie den Grundsätzen der Menschenwürde und des sozialen und demokratischen Rechtsstaates entsprechen.

§ 11. Rechte und Freiheiten dürfen nur in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz beschränkt werden. Diese Beschränkungen müssen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein und dürfen das Wesen der beschränkten Rechte und Freiheiten nicht verändern.

§ 12. Alle sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf wegen seiner Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, seines Geschlechts, seiner Sprache, seiner Herkunft, seines Glaubens und seiner politischen sowie anderen Überzeugungen sowie wegen des materiellen oder sozialen Standes oder anderer Tatsachen diskriminiert werden.

Die Aufwiegelung zu nationalem, rassischem, religiösem oder politischem Haß, zur Bedrohung mit Gewalt oder Diskriminierung sind gesetzlich verboten und strafbar. Ebenso wie die Aufwiegelung zum Haß, zur Gewalt und Diskriminierung zwischen gesellschaftlichen Schichten gesetzlich verboten und strafbar.

§ 13. Jeder hat ein REcht auf Schutz des Staates und des Gesetzes. Der estnische Staat schützt seine Bürger auch im Ausland.

Das Gesetz schützt jeden vor Willkür der Staatsgewalt.

§ 14. Die Gewährleistung der Rechte und Freiheiten ist eine Pflicht der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt wie auch der örtlichen Selbstverwaltungen.

§ 15. Jedermann hat das Recht, sich im Falle der Verletzung seiner Rechte an ein Gericht zu wenden. Jeder hat das Recht, bei der Prüfung seiner Gerichtssache jedes die Sache berührende Gesetz, andere Rechtsakte sowie Verfahren als grundgesetzwidrig erklären zu lassen.

Das Gericht folgt dem Grundgesetz und erklärt jedes beliebige Gesetz, jeden anderen Rechtsakt oder jedes Verfahren, welches die grundgesetzmäßig garantierten Rechte und Freiheiten verletzt oder in einer anderen Weise grundgesetzwidrig ist, für grundgesetzwidrig.

§ 16. Jeder hat das Recht auf Leben. Dieses Recht wird durch Gesetz geschützt. Niemandem darf das Leben willkürlich entzogen werden.

§ 17. Niemandes Ehre oder guter Name darf verleumdet werden.

§ 18. Niemand darf gefoltert, grausam oder unwürdig behandelt oder bestraft werden.

Niemand darf gegen seinen freien Willen medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterzogen werden.

§ 19. Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Jeder muß bei Wahrnehmung seiner Rechte und Freiheiten und in Erfüllung seiner Pflichten die Rechte und Freiheiten anderer Menschen achten und berücksichtigen sowie dem Gesetz folgen.

§ 20. Jeder hat das Recht auf Freiheit und Unverletzlichkeit der Person.

Die Freiheit darf nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren entzogen werden:
1. zum Vollzug eines schuldigsprechenden Gerichtsurteiles oder einer vom Gericht verhängten Haft;
2. im Falle der Nichterfüllung eines Gerichtsurteiles oder zur Gewährleistung des Vollzugs einer gesetzlichen Verpflichtung;
3. zur Verhütung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit, zur Vorführung eines einer derartigen Rechtsverletzung begründeten Verdächtigen vor das zuständige Staatsorgan oder zur Verhinderung seiner Flucht;
4. zur Anordnung der Erziehungsaufsicht über einen Minderjährigen oder zu seiner Vorführung vor das kompetente Staatsorgan zur Entscheidung über eine derartige Aufsicht;
5. zur Festnahme eines Infektionskranken, Geisteskranken, Alkoholikers oder Rauschgiftsüchtigen, wenn er für sich selbst oder für andere gefährlich ist;
6. zur Verhinderung der illegalen Einreise nach Estland und zur Ausweisung aus Estland oder zur Auslieferung an einen anderen Staat.

Niemandem darf die Freiheit nur deswegen entzogen werden, weil er nicht im Stande ist, irgendeine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.

§ 21. Jedem, dem die Freiheit entzogen wurde, sind unverzüglich in einer für ihn verständlichen Sprache und Weise der Grund für den Freiheitsentzug und seine Rechte mitzuteilen sowie die Möglichkeit zu geben, seine nahen Angehörigen von dem Freiheitsentzug zu unterrichten. Einem einer Straftat Verdächtigten in unverzüglich auch die Möglichkeit zu geben, einen Verteidiger zu wählen und sich mit diesem zu treffen. Das Recht eines einer Straftat Verdächtigten, seine Angehörigen von seinem Freiheitsentzug zu unterrichten, darf nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren im Interesse der Verbrechensverhütung und der Wahrheitsfindung im Strafprozeß beschränkt werden.

Niemand darf mehr als achtundvierzig Stunden ohne ein entsprechendes Gerichtsurteil festgehalten werden. Die Gerichtsentscheidung ist dem Verhafteten unverzüglich in einer für ihn verständlichen Sprache und Weise mitzuteilen.

§ 22. Niemand darf als eines Verbrechens schuldig betrachtet werden, solange nicht ein schuldigsprechendes Gerichtsurteil gegen ihn Rechtskraft erlangt hat.

Niemand ist im Strafprozeß verpflichtet, sich schuldig zu bekennen.

Niemand darf gezwungen werden, gegen sich oder nahe Verwandte auszusagen.

§ 23. Niemand darf wegen einer Handlung verurteilt werden, wenn diese Handlung nicht durch ein Gesetz, das im Zeitpunkt der Begehung in Kraft war, als Verbrechen qualifiziert wird.

Niemand darf zu einer schwereren Strafe verurteilt werden, als es zur Zeit der Begehung der Rechtsverletzung möglich gewesen wäre. Wenn ein Gesetz nach Begehung der Rechtsverletzung eine mildere Strafe vorsieht, ist die mildere Strafe anzuwenden.

Niemand darf ein zweites Mal für eine Handlung gerichtlich verfolgt oder bestraft werden, wegen der er in Übereinstimmung mit dem Gesetz rechtskräftig schuldig- oder freigesprochen wurde.

§ 24. Niemand darf gegen seinen freien Willen aus der Zuständigkeit eines gesetzlich bestimmten Gerichtes in die Zuständigkeit eines anderen überführt werden.

Jeder hat das Recht auf Anwesenheit bei Behandlung seiner Gerichtssache.

Die Sitzungen der Gerichte sind öffentlich. Das Gericht kann in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren zum Schutz von Staats- oder Geschäftsgeheimnissen, der Sitten oder des Privat- oder Familienlebens von Menschen, oder wenn es die Interessen von Minderjährigen, Opfern oder der Rechtsprechung verlangen, die Sitzung ganz oder teilweise für nichtöffentlich erklären.

Ein Gerichtsurteil wird öffentlich verkündet, es sei denn, die Interessen von Minderjährigen, Ehepartnern oder Opfern gebieten etwas anderes.

Jeder hat das Recht, gegen ein ihr ergangenes Urteil in den gesetzlich vorgesehenen Verfahren ein höherstehendes Gericht anzurufen.

§ 25. Jeder hat das Recht auf Ersatz des ihm von beliebiger Seite rechtswidrig zugefügten moralischen oder materiellen Schadens.

§ 26. Jeder hat das Recht auf Unverletzlichkeit seines Familien- und Privatlebens. Staatliche Einrichtungen, örtliche Selbstverwaltungen sowie deren Amtspersonen dürfen sich in das Familien- oder Privatleben nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren sowie zum Schutz von Gesundheit, Moral, öffentlicher Ordnung oder der Rechte und Freiheiten anderer Menschen, zur Verhütung einer Straftat oder zur Festnahme eines Verbrechers einmischen.

§ 27. Die Familie als die Grundlage für die Erhaltung des Volkes sowie das Wachstum der Gesellschaft steht unter dem Schutz des Staates.

Die Ehepartner sind gleichberechtigt.

Die Eltern haben das Recht und die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen und für sie zu sorgen.

Das Gesetz bestimmt den Schutz von Eltern und Kindern.

Die Familie ist verpflichtet, für ihre hilfsbedürftigen Angehörigen zu sorgen.

§ 28. Jeder hat ein Recht auf Gesundheitsschutz.

Jeder estnische Staatsbürger hat das Recht auf staatliche Unterstützung im Alter, bei Arbeitsunfähigkeit, Verlust des Ernährers oder in Notlagen. Die Art der Unterstützung, ihr Umfang und ihre Bedingungen sowie die Verfahren werden durch Gesetz bestimmt. Wenn durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, steht dieses Recht sich in Estland aufhaltenden Bürgern ausländischer Staaten und Staatenlosen in gleicher Weise wie estnischen Staatsangehörigen zu.

Der Staat fördert die Fürsorge auf der Basis der Freiwilligkeit und Selbstverwaltung.

Kinderreiche Familien und Behinderte stehen unter besonderer Fürsorge des Staates und der örtlichen Selbstverwaltungen.

§ 29. Der estnische Bürger hat das Recht, sein Betätigungsfeld, seinen Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Durch Gesetz können Bedingungen und Verfahren für die Wahrnehmung dieses Rechtes festgesetzt werden. Wenn durch Gesetznichts anderes bestimmt wird, steht dieses Recht sich in Estland aufhaltenden Bürgern ausländischer Staaten und Staatenlosen in gleicher Weise wie estnischen Staatsnagehörigen zu.

Niemand darf gegen seinen freien Willen zu einer Arbeit oder einem Dienst gezwungen werden, ausgenommen Wehrdienst oder Ersatzdienst, Arbeiten zur Verhütung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten, im Falle von Naturunglücken oder anderen Katastrophen oder Arbeiten, die Verurteilte aufgrund von Gesetzen und im gesetzlichen Verfahren leisten müssen.

Der Staat regelt die Berufsausbildung und unterstützt Arbeitssuchende bei der Arbeitssuche.

Die Arbeitsbedingungen stehen unter staatlicher Kontrolle.

Die Zugehörigkeit zu Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen und -verbänden ist frei. Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen und -verbände können für ihre rechtlichen und gesetzlichen Interessen Mittel einsetzen, die gesetzlich nicht verboten sind. Die Bedingungen und das Verfahren für die Wahrnehmung des Streikrechtes werden gesetzlich festgelegt.

Das Verfahren der Beilegung von  Arbeitsstreitigkeiten regelt ein Gesetz.

§ 30. Ämter in staatlichen Einrichtungen und örtlichen Selbstverwaltungen werden aufgrund von Gesetzen und in gesetzlichen Verfahren mit estnischen Staatsbürgern besetzt. In Übereinstimmung mit dem Gesetz können diese Ämter ausnahmsweise auch Staatsangehörige ausländischer Staaten oder Staatenlose wahrnehmen.

Durch Gesetz kann das Recht einiger Kategorien von Beamten auf eine unternehmerische Tätigkeit und Zugehörigkeit zu Ertragsgesellschaften (§ 31) oder das Recht der Mitgliedschaft in Parteien oder anderen Arten von Nichtertragsgesellschaften (§ 48) eingeschränkt werden.

§ 31. Estnische Staatsangehörige haben ein Recht auf unternehmerische Tätigkeit und auf Vereinigung in Ertragsgesellschaften und -verbänden. Die Bedingungen sowie das Verfahren für die Ausübung dieses Rechtes können gesetzlich geregelt werden. Wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, steht dieses Recht sich in Estland aufhaltenden Bürgern ausländischer Staaten und Staatenlosen in gleicher Weise wie estnischen Staatsangehörigen zu.

§ 32. Das Eigentum jedes Menschen ist unverletzlich und in gleicher Weise geschützt. Eigentum kann ohne Zustimmung des Eigentümers nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren im Interesse der Allgemeinheit gegen gerechte und prompte Entschädigung enteignet werden. Jeder, dessen Eigentum ohne seine Zustimmung enteignet wurde, hat das Recht, sich an ein Gericht zu wenden sowie die Enteignung des Vermögens, die Entschädigung und ihre Höhe anzufechten.

Jeder hat das Recht, sein Eigentum frei zu besitzen, zu nutzen und darüber zu verfügen. Einschränkungen sind durch Gesetz festzulegen. Eigentum darf nicht gegen allgemeine Interessen genutzt werden.

Durch Gesetz können im Allgemeininteresse die Arten von Gütern bestimmt werden, die sich nur im Eigentum estnischer Staatsbürger, bestimmter juristischer Personen, der örtlichen Selbstverwaltungskörperschaften oder des estnischen Staates befinden können.

Das Erbrecht wird gewährleistet.

§ 33. Die Wohnung ist unantastbar. Man darf nicht in jemandes Wohnraum, Besitz oder Arbeitsplatz eindringen oder diese durchsuchen, ausgenommen in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit oder der Rechte und Freiheiten anderer Menschen, zur Verhütung von Verbrechen, zur Festnahme eines Verbrechers oder zur Wahrheitsfindung in einem Strafverfahren.

 § 34. Jeder, der sich gesetzlich in Estland aufhält, hat das Recht, sich frei zu bewegen und seinen Wohnsitz zu wählen. Das Recht, sich frei zu bewegen, kann in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Menschen, im Interesse des Staatsschutzes, bei Elementarereignissen und Natur- und sonstigen Katastrophen, zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen, zum Schutz der Umwelt, zur Betreuung von Minderjährigen oder Geisteskranken und zur Gewährleistung eines Strafverfahrens eingeschränkt werden.

§ 35. Jeder hat das Recht, Estland zu verlassen. Dieses Recht kann in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren zur Gewährleistung eines Gerichts- und Voruntersuchungsverfahrens oder zum Vollzug von Gerichtsurteilen beschränkt werden.

§ 36. Kein estnischer Staatsbürger darf aus Estland ausgewiesen oder an der Niederlassung in Estland gehindert werden.

Kein estnischer Staatsbürger darf einem ausländischen Staat ausgeliefert werden außer in den in einem völkerrechtlichen Vertrag vorgesehenen Fällen und entsprechend dem vertraglich und gesetzlich bestimmten Verfahren. Über die Auslieferung entscheidet die Regierung der Republik. Jeder Auszuliefernde hat das Recht, vor einem estnischen Gerichte die Auslieferung anzufechten.

Jeder Este hat das Recht, sich in Estland niederzulassen.

Die Estnische Republik verleiht ihren Bürgern, außer den Schutztruppen zur Kriegszeit, keinerlei Orden oder Ehrenzeichen; auch haben die Bürger Estlands nicht das Recht, Orden oder Ehrenzeichen auswärtiger Staaten anzunehmen.

§ 37. Jeder hat ein Recht auf Bildung. der Unterricht ist für schulpflichtige Kinder im gesetzlich bestimmten Umfang verpflichtend sowie in staatlichen und örtlichen allgemeinbildenden Schulen kostenlos.

Um Bildung zugänglich zu machen, unterhalten der Staat und die örtlichen Selbstverwaltungen die notwendige Anzahl von Lehreinrichtungen. Aufgrund Gesetz können auch andere Lehreinrichtungen, darunter Privatschulen, errichtet und unterhalten werden.

Bei der Wahl des Unterrichts der Kinder haben die Eltern das entscheidende Wort.

Jeder hat das Recht auf estnischsprachigen Unterricht. Die Unterrichtssprache in Bildungseinrichtungen der Minderheiten wählt die Lehreinrichtung.

Die Erteilung von Unterricht steht unter der Aufsicht des Staates.

§ 38. Wissenschaft und Kunst sowie ihre Lehre sind frei.

Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen sind in den gesetzlich vorgesehenen Grenzen autonom.

§ 39. Der Autor hat das unveräußerliche Recht auf sein Werk. Der Staat schützt das Urheberrecht.

§ 40. Jedem gebührt die Gewissens-, Glaubens- und Gedankenfreiheit.

Die Zugehörigkeit zu Kirchen und Religionsgemeinschaften ist frei. Es besteht keine Staatskirche.

Jeder hat die Freiheit, sowohl allein, als auch zusammen mit anderen öffentlich oder privat religiöse Handlungen vorzunehmen, wenn dies nicht die öffentliche Ordnung, Gesundheit oder Moral beeinträchtigt.

§ 41. Jeder hat das Recht, seiner Meinung und Überzeugung treu zu bleiben. Niemand darf gezwungen werden, diese zu ändern.

Eine Überzeugung kann eine Rechtsverletzung nicht entschuldigen.

Niemand darf wegen seiner Überzeugung rechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

§ 42. Staatliche Einrichtungen, örtliche Selbstverwaltungen und deren Amtspersonen dürfen gegen den freien Willen estnischer Staatsangehöriger keine Angaben über deren Überzeugungen sammeln oder speichern.

§ 43. Jeder hat das Recht auf Geheimhaltung der von ihm oder ihm im Post-, Fernmelde- oder Fenrsprech- oder auf einem sonstigen allgemein gebräuchlichen Weg weitergegebenen Worte. Ausnahmen sind mit Genehmigung eines Gerichtes zur Verhütung von Verbrechen oder zur Wahrheitsfindung im Strafprozeß in den gesetzlich festgelegten Fällen und Verfahren zulässig.

§ 44. Jeder hat das Recht, zum allgemeinen Gebrauch verbreitete Informationen frei zu erhalten.

Alle Staatseinrichtungen, örtlichen Selbstverwaltungen und deren Amtspersonen sind in den gesetzlich festgelegten Verfahren verpflichtet, estnischen Staatsbürgern auf ihren Antrag Informationen über ihre Tätigkeit zu geben, ausgenommen Angaben, deren Bekanntgabe gesetzlich verboten ist, sowie Angaben, die nur zum innerbehördlichen Gebrauch bestimmt sind.

Ein estnischer Staatsbürger hat das Recht, sich in dem einem gesetzlich gestgelegten Verfahren mit den seine Person betreffenden Angaben bei staatlichen Behörden und örtlichen Selbstverwaltungseinrichtungen sowie mit den in Archiven staatlicher Behörden und örtlicher Selbstverwaltungseinrichtungen vorhandenen Angaben vertraut zu machen. Aufgrund eines Gesetzes kann dieses Recht zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Menschen, der Geheimhaltung der Herkunft eines Kindes, zur Verhütung eines Verbrechens, zur Festnahme eines Verbrechers oder zur Wahrheitsfindung in einem Strafverfahren eingeschränkt werden.

Wenn das Gesetz es nicht anders bestimmt, haben sich in Estland aufhaltende Bürger ausländischer Staaten und Staatenlose die in Abschnitt 2 und 3 genannten Rechte gleich estnischen Staatsbürgern.

§ 45. Jeder hat das Recht, Ideen, Meinungen, Überzeugungen und andere Informationen in Wort, Druck, Bild oder auf andere Weise frei zu verbreiten. Dieses Recht kann durch Gesetz zum Schutz der öffentlichen Ordnung und der Moral sowie der Rechte und Freiheiten, der Gesundheit, de Ehre und des guten Namens anderer Menschen eingeschränkt werden. Durch Gesetz kann dieses Recht auch für Bedienstete des Staates oder der örtlichen Selbstverwaltungen in bezug auf ihnen von Amts wegen bekannte Staats- oder Geschäftsgeheimnisse oder vertraulich erhaltene Informationen sowie zum Schutz des Familien- und Privatlebens anderer Menschen wie auch im Interesse der Rechtsprechung beschränkt werden.

Eine Zensur existiert nicht.

§ 46. Jeder hat das Recht, sich mit Anträgen und Erklärungen an staatliche Einrichtungen, örtliche Selbstverwaltungen und deren Amtspersonen zu wenden. Das Verfahren der Beantwortung wird durch Gesetz festgelegt.

§ 47. Alle haben das Recht, sich ohne vorhergehende Erlaubnis friedlich zu versammeln und Versammlungen abzuhalten. Dieses Recht kann in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und Verfahren zur Gewährleistung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Moral, der Sicherheit des Verkehrs und der Versammlungsteilnehmer sowie zur Verhinderung der Verbreitung ansteckender Krankheiten beschränkt werden.

§ 48. Jeder hat das Recht, sich in Nichtertragsgesellschaften und -verbänden zu vereinigen. Parteien dürfen nur estnische Staatsangehörige angehören.

Für die Gründung von Vereinen und Verbänden, die Waffen besitzen und militärisch organisiert sind oder militärische Übungen pflegen, ist eine vorherige Genehmigung erforderlich, deren Erteilungsvoraussetzungen und -verfahren durch ein Gesetz geregelt werden.

Verboten sind Vereine, Verbände und Parteien, deren Ziele oder Tätigkeit auf die gewaltsame Änderung der grundgesetzlichen Ordnung Estlands gerichtet sind oder die in einer anderen WEise dem Strafgesetz widersprechen.

Nur ein Gericht darf die Tätigkeit eines Vereins, eines Verbandes oder einer Partei wegen einer Rechtsverletzung beenden oder aussetzen oder gegen diese eine Strafe verhängen.

§ 49. Jeder hat das Recht, seine Volkszugehörigkeit zu bewahren.

§ 50. Nationale Minderheiten haben das Recht, im Interesse ihrer Volkskultur unter den im Gesetz über die Kulturautonomie der nationalen Minderheiten festgelegten Voraussetzungen und Verfahren, Selbstverwaltungseinrichtungen zu gründen.

§ 51. Jeder hat das Recht, sich an staatliche Einrichtungen, örtliche Selbstverwaltungen und deren Amtspersonen in estnischer Sprache zu wenden und estnischsprachige Antworten zu erhalten.

In Ortschaften, in denen wenigstens die Hälfte der ständigen Einwohner einer nationalen Minderheit angehört, hat jedermann das Recht, Antworten einer staatlichen Behörde oder der örtlichen Selbstverwaltung sowie von deren Amtspersonen auch in dieser Minderheitensprache zu erhalten.

§ 52. Die Geschäftssprache der staatlichen Behörden sowie der örtlichen Selbstverwaltungen in Estnisch.

In Ortschaften, in denen Estnisch nicht die Sprache der Mehrheit der Einwohner ist, können die örtlichen Selbstverwaltungen im gesetzlich festgelegten Umfang und Verfahren die Sprache der Mehrheit der ständigen Einwohner dieser Ortschaft als interne Geschäftssprache verwenden.

Den Gebrauch von Fremdsprachen, darunter auch der Sprachen nationaler Minderheiten, in staatlichen Einrichtungen sowie im gerichtlichen und vorgerichtlichen Verfahren bestimmt ein Gesetz.

§ 53. Jeder ist verpflichtet, Lebensraum und Umwelt zu schützen und den Schaden zu ersetzen, den er der Umwelt zugefügt hat. Das Entschädigungsverfahren wird gesetzlich festgelegt.

§ 54. Pflicht eines estnischen Staatsbürgers ist es, der estnischen grundgesetzlichen Ordnung treu zu sein und die estnische Unabhängigkeit zu verteidigen.

Gibt es keine anderen Mittel, hat jeder estnische Staatsbürger das Recht, einer gewaltsamen Änderung der grundgesetzlichen Ordnung eigenständigen Widerstand zu leisten.

§ 55. Sich in Estland aufhaltende Staatsangehörige anderer Staaten und Staatenlose sind verpflichtet, die grundgesetzliche Ordnung Estlands zu beachten.

III. Abschnitt.
Das Volk.

§ 56. Die höchste Staatsgewalt verwirklicht das Volk durch die stimmberechtigten Bürger:
1. durch Wahl der Staatsversammlung;
2. durch Volksabstimmung.

§ 57. Stimmberechtigt ist jeder estnischer Bürger, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat.

Nicht stimmberechtigt ist ein estnischer Staatsbürger, der von einem Gericht für handlungsunfähig erklärt wurde.

§ 58. Durch Gesetz kann die Teilnahme derjenigen estnischen Staatsbürger an der Abstimmung eingeschränkt werden, die durch ein Gerichtsurteil für schuldig befunden wurden und in einer Haftanstalt ihre Strafe verbüßen.

IV. Abschnitt.
Die Staatsversammlung.

§ 59. Die gesetzgebende Gewalt gebührt der Staatsversammlung.

§ 60. Die Staatsversammlung hat 101 Mitglieder. Die Mitglieder der Staatsversammlung werden in freien Wahlen aufgrund des Proportionalsystems gewählt. Die Wahlen sind allgemein, gleich und direkt. Die Abstimmung ist geheim.

Für die Staatsversammlung kann jeder wenigstens einundzwanzigjährige stimmberechtigte estnische Staatsbürger kandidieren.

Die ordentlichen Wahlen zur Staatsversammlung finden am ersten Sonntag des Monats März des vierten Jahres statt, das den vorangegangenen Wahlen zur Staatsversammlung folgt.

Außerordentliche Wahlen zur Staatsversammlung werden in den in §§ 89, 97, 105 und 119 des Grundgesetzes vorgesehenen Fällen wenigstens zwanzig und spätestens vierzig Tage nach der Anberaumung der Wahlen durchgeführt.

Die Wahlordnung für die Staatsversammlung bestimmt das Gesetz über die Wahlen zur Staatsversammlung.

§ 61. Die Vollmachten der Mitglieder der Staatsversammlung beginnen am Tage der Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Am selben Tage enden die Vollmachten der Mitglieder der vorherigen Staatsversammlung.

Die Mitglieder der Staatsversammlung legt vor Antritt seiner Amtstätigkeit einen Amtseid ab, der Republik Estland und ihrem Grundgesetz treu zu sein.

§ 62. Das Mitglied der Staatsversammlung ist an kein Mandat gebunden und trägt vor der Staatsversammlung und ihren Organen für sein Abstimmungsverhalten und seine politischen Äußerungen keine rechtliche Verantwortung.

§ 63. Ein Mitglied der Staatsversammlung darf kein anderes Staatsamt ausüben.

Ein Mitglied der Staatsversammlung ist für die Dauer seines Mandates vom Wehrdienst befreit.

§ 64. Das Mandat eines Mitglieds der Staatsversammlung wird mit seiner Ernennung zum Regierungsmitglied suspendiert und lebt mit seiner Entbindung von den Pflichten eines Regierungsmitglieds wieder auf.

Das Mandat eines Mitglieds der Staatsversammlung erlöscht vorzeitig:
1. mit seinem Eintritt in ein anderes Staatsamt;
2. mit Rechtskraft eines schuldigsprechenden Gerichtsurteils;
3. mit seinem Rücktritt in der gesetzlich vorgesehenen Weise;
4. wenn die Staatsversammlung entschieden hat, daß er ständig unfähig ist, seine Aufgaben zu erfüllen;
5. mit seinem Tod.

Im Falle der Suspendierung oder der vorzeitigen Beendigung des Mandates eines Mitglieds der Staatsversammlung tritt in dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren sein Ersatzmitglied an seine Stelle. Das Ersatzmitglied hat alle Rechte und Pflichten eines Mitglieds der Staatsversammlung.

Mit der Wiederherstellung des Mandates des Mitglieds der Staatsversammlung erlöschen die Vollmachten des Ersatzmitgliedes.

§ 65. Die Staatsversammlung:
1. nimmt Gesetze und Entscheidungen an;
2. entscheidet über die Durchführung einer Volksabstimmung;
3. wählt gemäß § 79 des Grundgesetzes den Präsidenten der Republik;
4. ratifiziert und kündigt gemäß § 121 des Grundgesetzes völkerrechtliche Verträge;
5. erteilt dem Premierministerkandidaten den Auftrag zur Regierungsbildung;
6. nimmt den Staatshaushalt an und bestätigt den Rechenschaftsbericht über seine Erfüllung;
7. ernennt auf Vorschlag des Präsidenten der Republik den Vorsitzenden des Staatsgerichtshofs, den Vorsitzenden des Rates der Estnischen Bank, den Staatskontrolleur, den Justizkanzler und den Befehlshaber oder Oberbefehlshaber der Streitkräfte;
8. ernennt auf Vorschlag des Vorsitzenden des Staatsgerichtshofs die Mitglieder des Staatsgerichtshofs;
9. ernennt die Mitglieder des Rates der Estnischen Bank;
10. entscheidet auf Vorschlag der Regierung der Republik über die Aufnahme von Staatsanleihen oder die Übernahme anderer finanzieller Verpflichtungen;
11. wendet sich mit Erklärungen, Deklarationen oder Aufrufen an das estnische Volk, andere Staaten und internationale Organisationen;
12. setzt staatliche Ehrenzeichen sowie militärische und diplomatische Ehrentitel fest;
13. beschließt über die Bekundung des Mißtrauensvotums gegenüber der Regierung der Republik, dem Premierminister oder einem Minister;
14. verkündet gemäß § 129 des Grundgesetzes den Ausnahmezustand;
15. verkündet auf Vorschlag des Präsidenten der Republik den Kriegszustand, die Mobilmachung sowie die Demobilisierung;
16. entscheidet andere das Staatsleben betreffende Fragen, welche durch das Grundgesetz nicht dem Präsidenten der Republik der Regierung der Republik, anderer Staatsorganen oder den örtlichen Selbstverwaltungen übertragen wurden.

§ 66. Die erste Sitzung der neuen Zusammensetzung der Staatsversammlung findet in Verlauf von zehn Tagen nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse statt. Die erste Sitzung wird vom Präsidenten der Republik einberufen.

§ 67. Die ordentlichen Sitzungen der Staatsversammlung finden vom zweiten Montag des Monats Januar bis zum dritten Donnerstag des Monats Juni sowie vom zweiten Montag des Monats September bis zum dritten Donnerstag des Monats Dezember statt.

§ 68. Außerordentliche Sitzungen der Staatsversammlung werden vom Vorsitzenden der Staatsversammlung auf Vorschlag des Präsidenten der Republik, der Regierung der Republik oder wenigstens eines Fünftels der Staatsversammlung einberufen.

§ 69. Die Staatsversammlung wählt aus ihren Mitgliedern den Vorsitzenden der Staatsversammlung und zwei Stellvertreter, die die Arbeit der Staatsversammlung in Übereinstimmung mit der Hausordnung und der Geschäftsordnung der Staatsversammlung organisieren.

§ 70. Die Beschlußfassung der Staatsversammlung wird im Gesetz über ihre Hausordnung geregelt. Eine außerordentliche Sitzung der Staatsversammlung ist beschlußfähig wenn mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder anwesend ist.

§ 71. Die Staatsversammlung bildet Kommissionen.

Die Mitglieder der Staatsversammlung haben das Recht, sich in Fraktionen zu vereinigen.

Das Verfahren der Bildung von Kommissionen und Fraktionen sowie deren Rechte werden durch die Hausordnung der Staatsversammlung festgelegt.

§ 72. Die Sitzungen der Staatsversammlung sind öffentlich, sofern die Staatsversammlung nicht mehr Zweidrittelmehrheit etwas anderes entscheidet.

Die Abstimmung in der Staatsversammlung ist öffentlich. Geheime Abstimmungen werden in den durch das Grundgesetz oder die Hausordnung der Staatsversammlung festgelegten Fällen nur bei der Wahl oder Ernennung von Amtspersonen vorgenommen.

§ 73. Akte der Staatsversammlung werden mit der Mehrheit der Zustimmungen angenommen, wenn das Grundgesetz nichts anderes bestimmt.

§ 74. Mitglieder der Staatsversammlung haben das Recht, sich mit einer Anfrage an die Regierung der Republik oder ihre Mitglieder, den Vorsitzenden des Rates der Estnischen Bank, den Präsidenten der Estnischen Bank, den Staatskontrolleur, den Justizkanzler und den Befehlshaber oder Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu wenden.

Anfragen sind während der Sitzung der Staatsversammlung im Verlauf von zwanzig Sitzungstagen zu beantworten.

§ 75. Die Vergütungen für die Mitglieder der Staatsversammlung sowie Beschränkungen ihrer sonstigen Arbeitseinkünfte werden durch Gesetz festgelegt, das von der nächsten Zusammensetzung der Staatsversammlung geändert werden kann.

§ 76. Das Mitglied der Staatsversammlung genießt Immunität. Es kann nur auf Vorschlag des Justizkanzlers mit der Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

V. Abschnitt.
Der Präsident der Republik.

§ 77. Der Präsident der Republik ist das Staatsoberhaupt Estlands.

§ 78. Der Präsident der Republik:
1. vertritt die Republik Estland in den internationalen Beziehungen;
2. ernennt und entläßt auf Vorschlag der Regierung der Republik diplomatische Vertreter der Republik Estland und empfängt die Beglaubigungsschreiben der in Estland akkreditierten diplomatischen Vertreter;
3. beraumt die ordentlichen Wahlen zur Staatsversammlung und die nach §§ 89, 97, 105 und 119 des Grundgesetzes durchzuführenden außerordentlichen Wahlen zur Staatsversammlung an;
4. beruft gemäß § 66 des Grundgesetzes die Staatsversammlung in ihrer neuen Zusammensetzung ein und eröffnet diese erste Sitzung;
5. macht dem Vorsitzenden der Staatsversammlung gemäß § 68 des Grundgesetzes den Vorschlag, eine außerordentliche Sitzungsperiode der Staatsversammlung einzuberufen;
6. verkündet gemäß §§ 109 und 110 des Grundgesetzes Gesetze und unterzeichnet die Ratifikationsurkunden;
7. erläßt Verordnungen gemäß §§ 109 und 110 des Grundgesetzes;
8. initiiert Grundgesetzänderungen;
9. bestimmt gemäß § 89 des Grundgesetzes den Kandidaten für den Ministerpräsidenten;
10. ernennt die Mitglieder der Regierung gemäß §§ 89, 90 und 92 des Grundgesetzes und entläßt sie aus dem Amt;
11. macht der Staatsversammlung den Vorschlag, den Vorsitzenden des Staatsgerichtshofs, den Vorsitzenden des Rates der Estnischen Bank, den Staatskontrolleur, den Justizkanzler und den Befehlshaber oder Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu ernennen;
12. ernennt auf Vorschlag des Rates der Estnischen Bank den Präsidenten der Estnischen Bank;
13. ernennt auf Vorschlag des Staatsgerichtshofs die Richter;
14. ernennt auf Vorschlag der Regierung und des Befehlshabers der Streitkräfte die Führung der Streitkräfte und entläßt sie aus dem Amt;
15. verleiht staatliche Auszeichnungen sowie militärische und diplomatische Ehrentitel;
16. ist der Oberbefehlshaber der estnischen Landessverteidigung;
17. empfiehlt der Staatsversammlung die Verkündung des Kriegszustandes, der Mobilmachung und Demobilisierung sowie gemäß § 129 des Grundgesetzes des Ausnahmezustandes;
18. verkündet im Falle einer gegen Estland gerichteten Aggression der Kriegszustand und die Mobilmachung und ernennt gemäß § 128 des Grundgesetzes den Oberbefehlshaber der Streitkräfte;
19. befreit Verurteilte auf ihr Gesuch im Rahmen einer Amnestie vom Vollzug ihrer Strafe oder mildert die Strafe;
20. initiiert gemäß § 145 des Grundgesetzes die strafrechtliche Verantwortung des Justizkanzlers.

§ 79. Den Präsidenten der Republik wählt die Staatsversammlung oder im Falle von Absatz vier dieses Paragraphen die Wahlversammlung.

Das Recht auf Aufstellung eines Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten hat wenigstens ein Fünftel der Zusammensetzung der Staatsversammlung.

Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten kann nur ein estnischer Staatsangehöriger kraft Geburt sein, der das vierzigste Lebensjahr vollendet hat.

Der Präsident wird in geheimer Abstimmung gewählt. Jedes Mitglied der Staatsversammlung hat eine Stimme. Als gewählt gilt derjenige Kandidat, für den wenigstens zwei Drittel der Mitglieder der Staatsversammlung gestimmt haben. Wenn kein Kandidat die notwendige Stimmenzahl erreicht hat, wird am nächsten Tag ein neuer Wahlgang durchgeführt. Vor dem zweiten Wahlgang erfolgt eine erneute Aufstellung der Kandidaten. Wenn im zweiten Wahlgang keiner der Kandidaten die erforderliche Stimmenmehrheit erreicht hat, wird am selben Tag zwischen den zwei im zweiten Wahlgang stimmstärksten Kandidaten ein dritter Wahlgang durchgeführt. Wenn auch im dritten Wahlgang kein Präsident der Republik gewählt ist, beruft der Vorsitzende der Staatsversammlung binnen eines Monats die Wahlversammlung zur Wahl des Staatspräsidenten ein.

Die Wahlversammlung besteht aus den Mitgliedern der Staatsversammlung und den Vertretern der örtlichen Selbstverwaltungsräte. Jeder örtliche Selbstverwaltungsrat wählt wenigstens einen Vertreter, der estnischer Staatsbürger sein muß, in die Wahlversammlung.

Die Staatsversammlung präsentiert der Wahlversammlung die zwei Präsidentschaftskandidaten, die in der Staatsversammlung die meisten Stimmen bekommen haben. Das Recht zur Aufstellung eines Präsidentschaftskandidaten haben auch wenigstens einundzwanzig Mitglieder der Wahlversammlung.

Die Wahlversammlung wählt den Staatspräsidenten mit der Mehrheit der STimmen der Mitglieder der Wahlversammlung, die an der Abstimmung teilgenommen haben. Wird beim ersten Durchgang kein Kandidat gewählt, findet am selben Tag ein zweiter Wahlgang zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen erzielt haben, statt.

Das genaue Verfahren der Wahl des Präsidenten der Republik regelt das Gesetz über die Wahl des Präsidenten der Republik.

§ 80. Der Präsident der Republik wird für fünf Jahre in sein Amt gewählt. Niemand kann für mehr als zwei Amtsperioden hintereinander in das Amt des Präsidenten der Republik gewählt werden.

Die ordentlichen Wahlen zum Präsidenten der Republik erfolgen frühestens sechzig Tage und spätestens zehn Tage vor Beendigung der Amtsperiode des Präsidenten der Republik.

§ 81. Der Präsident der Republik tritt sein Amt mit der Abgabe folgenden Amtseides an das estnische Volk vor der Staatsversammlung an:
    "Das Amt des Präsidenten der Republik antretend, lege ich (Vorname und Name) den feierlichen Eid ab, das Grundgesetz und die Gesetze der Republik Estland unerschütterlich zu schützen, die mir übertragene Gewalt gerecht und unparteiisch auszuüben und meine Verpflichtungen mit allen meinen Kräften nach bestem Wissen zu Nutzen des estnischen Volkes und der Republik treu zu erfüllen."

§ 82. Die Befugnisse des Präsidenten der Republik enden:
1. mit dem Rücktritt vom Amt;
2. mit Rechtskraft eines schuldigsprechenden Gerichtsurteils;
3. mit seinem Tod;
4. mit dem Amtsantritt eines neuen Präsidenten der Republik.

§ 83. Ist der Präsident der Republik aufgrund eines Urteiles des Staatsgerichtshofes ständig unfähig, seine Aufgaben zu erfüllen, oder kann er diese in den gesetzlich gestgelegten Fällen zeitweilig nicht erfüllen oder sind seine Kompetenzen vorzeitig beendet, gehen seine Vollmachten zeitweilig auf den Vorsitzenden der Staatsversammlung über.

In der Zeit, in der der Vorsitzende der Staatsversammlung die Aufgaben des Präsidenten der Republik erfüllt, ruhen seine Kompetenzen als Vorsitzender der Staatsversammlung.

Der Vorsitzende der Staatsversammlung hat in der Funktion des Präsidenten der Republik nicht das REcht, ohne Zustimmung des Staatsgerichtshofs außerdienstliche Wahlen zur Staatsversammlung anzuberaumen oder sich zu weigern, Gesetze zu verkünden.

Wenn der Präsident der Republik seine Amtspflichten länger als drei aufeinanderfolgende Monate nicht erfüllen kann oder seine Vollmachten vorzeitig beendet sind, wählt die Staatsversammlung innerhalb von vierzehn Tagen einen neuen Präsidenten der Republik gemäß § 79 des Grundgesetzes.

§ 84. Mit dem Amtsantritt erlöschen die Vollmachten und Aufgaben des Präsidenten der Republik in allen Wahl- oder Berufungsämtern, und er suspendiert für die Dauer seiner Amtsperiode seine Parteizugehörigkeit.

§ 85. Der Präsident der Republik kann nur auf Vorschlag des Justizkanzlers mit der Zustimmung der Mehrheit der Staatsversammlung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

VI. Abschnitt.
Die Regierung der Republik.

§ 86. Die vollziehende Staatsgewalt gebührt der Regierung der Republik.

§ 87. Die Regierung der Republik:
1. setzt die staatliche Innen- und Außenpolitik ins Leben um;
2. leitet und koordiniert die Tätigkeit der Regierungseinrichtungen;
3. organisiert den Vollzug von Gesetzen, Entscheidungen der Staatsversammlung und Akten des Präsidenten der Republik;
4. legt der Staatsversammlung Gesetzesentwürfe sowie zur Ratifikation und Kündigung völkerrechtlicher Verträge vor;
5. stellt den Entwurf für den Staatshaushalt zusammen und legt diesen der Staatsversammlung vor, organisiert den Vollzug des Staatshaushalts und präsentiert der Staatsversammlung den Rechenschaftsbericht über den Vollzug des Staatshaushalts;
6. erläßt auf der Grundlage der Gesetze Verordnungen und Verfügungen zum Vollzug der Gesetze;
7. regelt die Beziehungen zu anderen Staaten;
8. verkündet im Falle von Naturunglücken und Katastrophen oder zur Verhinderung der Verbreitung von Epidemien den Ausnahmezustand im gesamten Staat oder einem Teil desselben;
9. erfüllt andere Aufgaben, die durch das Grundgesetz und die Gesetze der Regierung der Republik zur Entscheidung übertragen wurden.

§ 88. Zur Regierung der Republik gehört der Ministerpräsident und die Minister.

§ 89. Der Präsident der Republik bestimmt im Verlauf von vierzehn Tagen nach Rücktritt der Regierung der Republik den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, den er mit der Bildung der neuen Regierung beauftragt.

Der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten trägt der Staatsversammlung innerhalb von vierzehn Tagen ab Beauftragung mit der Regierungsbildung die Grundlagen für die Bildung der künftigen Regierung vor, wonach die Staatsversammlung ohne Aussprache in offener Abstimmung über die Erteilung der Vollmacht zur Regierungsbildung an den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten entscheidet.

Der von der Staatsversammlung mit der Regierungsbildung beauftragte Ministerpräsidentenkandidat stellt innerhalb von sieben Tagen die Zusammensetzung der Regierung dem Präsidenten der Republik vor, der innerhalb von drei Tagen die Regierung ernennt.

Wenn der vom Präsidenten der Republik bestimmte Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten nicht die Zustimmung der Mehrheit der Staatsversammlung erhält oder keine Regierung bilden kann oder davon Abstand nimmt, hat der Präsident der Republik das Recht, im Verlauf von sieben Tagen einen anderen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufzustellen.

Wenn der Präsident der Republik innerhalb von sieben Tagen keinen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ernennt oder davon Abstand nimmt oder wenn der zweite Kandidat nicht gemäß den Bedingungen und Fristen der Abs. 2 und 3 dieses Paragraphen die Vollmacht der Staatsversammlung erhält oder keine Regierung bilden kann oder davon Abstand nimmt, geht das Recht der Nominierung eines Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten auf die Staatsversammlung über.

Die Staatsversammlung stellt den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten auf, der die Zusammensetzung der Regierung dem Präsidenten der Republik vorstellt. Ist die Zusammensetzung der Regierung nicht innerhalb von vierzehn Tagen, ab dem Tag des Übergangs des Rechtes zur Nominierung des Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten auf die Staatsversammlung dem Präsidenten der Republik nicht bekannt gemacht worden, beraumt der Präsident der Republik Neuwahlen an.

§ 90. Änderungen in der Zusammensetzung der ernannten Regierung nimmt der Präsident der Republik auf Vorschlag des Ministerpräsidenten vor.

§ 91. Die Regierung tritt ihr Amt mit der Abgabe des Amtseides vor der Staatsversammlung an.

§ 92. Die Regierung der Republik tritt zurück:
1. mit Zusammentritt der Staatsversammlung in neuer Zusammensetzung;
2. im Falle des Rücktritts oder Todes des Ministerpräsidenten;
3. im Falle eines Mißtrauensvotums gegenüber der Regierung der Republik oder dem Ministerpräsidenten.

Der Präsident der Republik entläßt die Regierung der Republik beim Amtsantritt der neuen Regierung aus dem Amt.

§ 93. Der Ministerpräsident vertritt die Regierung der Republik und leitet ihre Tätigkeit. Der Ministerpräsident ernennt zwei Minister, die das REcht haben, den Ministerpräsidenten während seiner Abwesenheit zu vertreten. Die Reihenfolge der Stellvertretung bestimmt der Premierminister.

§ 94. Zur Organisation der Verwaltungszweige werden aufgrund Gesetz entsprechende Ministerien errichtet.

Ein Minister leitet das Ministerium, organisiert die in das Verwaltungsgebiet des Ministeriums gehörende Fragen, gibt auf der Grundlage des Gesetzes und zum Vollzug der Gesetze Erlasse und Anordnungen aus und erfüllt sonstige Aufgaben, die ihm auf gesetzlicher Grundlage und im gesetzlichen Verfahren übertragen worden sind.

Wenn ein Minister aus Krankheitsgründen oder infolge sonstiger Hindernisse zeitweilig seine Aufgaben nicht erfüllen kann, überträgt der Ministerpräsident für diese Zeit seine Aufgaben einem anderen Minister.

Der Präsident der Republik kann auf Vorschlag des Ministerpräsidenten auch Minister ohne Geschäftsbereich ernennen.

§ 95. Bei der Regierung der Republik besteht die Staatskanzlei, die vom Staatssekretär geleitet wird.

Den Staatssekretär ernennt und entläßt der Ministerpräsident.

Der Staatssekretär nimmt mit dem Recht auf Wortmeldung an den Sitzungen der Regierung teil.

Der Staatssekretär hat als Leiter der Staatskanzlei dieselben Rechte, die durch Gesetz einem Minister zur Leitung eines Ministeriums übertragen sind.

§ 96. Die Sitzungen der Regierung sind nicht öffentlich, sofern die Regierung nicht etwas anderes beschließt.

Die Regierung trifft ihre Entscheidungen auf Vorschlag des Ministerpräsidenten oder des zuständigen Fachministers.

Die Verordnungen der Regierung gelten, wenn sie vom Ministerpräsidenten, dem zuständigen Fachminister und dem Staatssekretär unterzeichnet wurden.

§ 97. Die Staatsversammlung kann der Regierung der Republik, dem Ministerpräsidenten oder einem Minister das Mißtrauen durch einen Beschluß aussprechen, für den die Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung stimmt.

Einen Mißtrauensantrag kann wenigstens ein Fünfte der Zusammensetzung der Staatsversammlung schriftlich während einer Sitzung der Staatsversammlung stellen.

Über den Mißtrauensantrag kann frühestens am übernächsten Tag nach seiner Einreichung entschieden werden, sofern die Regierung keine schnellere Entscheidung verlangt.

Im Falle eines Mißtrauensvotums gegenüber der Regierung oder dem Ministerpräsidenten kann der Präsident der Republik auf Vorschlag der Regierung innerhalb von drei Tagen außerordentliche Wahlen zur Staatsversammlung anberaumen.

Im Falle eines Mißtrauensvotums gegenüber einem Minister berichtet der Ministerpräsidenten hierüber dem Präsidenten der Republik, der den Minister vom Amt entbindet.

Ein Mißtrauensantrag kann aus demselben Grund frühestens drei Monate nach Abstimmung über den vorherigen Mißtrauensantrag gestellt werden.

§ 98. Die Regierung der Republik kann die Annahme eines von ihr der Staatsversammlung vorgelegten Entwurfes mit der Vertrauensfrage verbinden.

Die Abstimmung kann nicht früher als am übernächsten Tag nach der Verknüpfung des Entwurfs mit der Vertrauensfrage stattfinden. Wenn die Staatsversammlung den Entwurf nicht annimmt, tritt die Regierung zurück.

§ 99. Mitglieder der Regierung der Republik dürfen weder ein anderes Staatsamt innehaben noch der Leitung, oder dem Rat eines Erwerbsunternehmens angehören.

§ 100. Die Mitglieder der Regierung der Republik dürfen mit dem Recht auf Wortmeldung an den Sitzungen der Staatsversammlung und deren Kommissionen teilnehmen.

§ 101. Ein Mitglied der Regierung der Republik kann nur auf Vorschlag des Justizkanzlers mit der Zustimmung der Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Mit Rechtskraft eines schuldigsprechenden Gerichtsurteils gegen ein Mitglieds der Regierung enden dessen Vollmachten.

VII. Abschnitt.
Die Gesetzgebung.

§ 102. Gesetz werden in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz angenommen.

§ 103. Das Recht zur Gesetzesinitiative hat:
1. ein Mitglied der Staatsversammlung;
2. eine Fraktion der Staatsversammlung;
3. eine Kommission der Staatsversammlung;
4. die Regierung der Republik;
5. der Präsident der Republik für eine Grundgesetzänderung.

§ 104. Das Verfahren der Verabschiedung von Gesetzen regelt die Hausordnung der Staatsversammlung.

Nur mit Stimmenmehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung können folgende Gesetze angenommen oder geändert werden:
1. das Staatsangehörigkeitsgesetz;
2. das Gesetz über die Wahl der Staatsversammlung;
3. das Gesetz über die Wahl des Präsidenten der Republik;
4. das Gesetz über die Wahl der örtlichen Selbstverwaltung;
5. das Gesetz über die Volksabstimmung;
6. das Gesetz über die Hausordnung der Staatsversammlung und über die Geschäftsordnung der Staatsversammlung;
7. das Gesetz über die Vergütung für den Präsidenten der Republik und die Mitglieder der Staatsversammlung;
8. das Gesetz über die Regierung der Republik;
9. das Gesetz über die gerichtliche Verantwortlichkeit des Präsidenten und der Mitglieder der Regierung der Republik;
10. das Gesetz über die Kulturautonomie der nationalen Minderheiten;
11. das Gesetz über den Staatshaushalt;
12. das Gesetz über die Estnische Bank;
13. das Gesetz über die Staatskontrolle;
14. das Gerichtsverfassungsgesetz und das Gerichtsverfahrensgesetz;
15. Gesetze über Auslands- und Inlandsanleihen, sowie Gesetz, die materielle Verpflichtungen des Staates betreffen;
16. das Gesetz über den Ausnahmezustand;
17. das Gesetz über die Landesverteidigung in Friedenszeiten und das Gesetz über die Landesverteidigung in Kriegszeiten.

§ 105. Die Staatsversammlung hat das Recht, einen Gesetzentwurf oder eine andere das Staatsleben betreffende Frage einer Volksabstimmung zu unterwerfen.

Ein Volksentscheid ergeht mit der Mehrheit der Stimmen derjenigen, die an der Abstimmung teilgenommen haben.

Das in einer Volksabstimmung angenommene Gesetz wird vom Präsidenten der Republik unverzüglich verkündet. Die Entscheidung der Volksabstimmung ist für alle Staatsorgane verbindlich.

Erlangt der einer Volksabstimmung unterworfene Gesetzentwurf nicht die Zustimmung der Mehrheit, beraumt der Präsident der Republik außerordentliche Neuwahlen an.

§ 106. Einer Volksabstimmung dürfen Fragen des Haushalts, der Steuern, der monetären Verpflichtungen des Staates, der Ratifizierung oder Kündigung völkerrechtlicher Verträge, der Verhängung und Aufhebung des Ausnahmezustandes sowie der Landesverteidigung nicht unterworfen werden.

Das Verfahren der Volksabstimmung bestimmt das Gesetz über die Volksabstimmung.

§ 107. Gesetze werden vom Präsidenten der Republik verkündet.

Der Präsident kann ein von der Staatsversammlung angenommenes Gesetz unverkündet lassen und innerhalb von vierzehn Tagen ab Zugang mit einer begründeten Entscheidung zurückweisen. Nimmt die Staatsversammlung ein vom Präsidenten zurückverwiesenes Gesetz in unveränderter Fassung erneut an, verkündet der Präsident der Republik das Gesetz oder wendet sich an den Staatsgerichtshof mit dem Vorschlag das Gesetz für grundgesetzwidrig zu erklären. Erklärt der Staatsgerichtshof das Gesetz für grundgesetzsmäßig, verkündet es der Präsident der Republik.

§ 108. Das Gesetz tritt am zehnten Tage nach seiner Veröffentlichung im Staatsanzeiger in Kraft, sofern im Gesetz selbst kein anderer Zeitpunkt bestimmt ist.

§ 109. Wenn die Staatsversammlung nicht zusammentreten kann, kann der Präsident der Republik im Falle unaufschiebbarer staatlicher Notwendigkeit Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen, die vom Vorsitzenden der Staatsversammlung und dem Ministerpräsidenten unterzeichnet werden.

Ist die Staatsversammlung zusammengetreten, legt der Präsident der Republik die Verordnungen der Staatsversammlung vor, die unverzüglich ein Gesetz über ihre Annahme oder Aufhebung annimmt.

§ 110. Durch Verordnung des Präsidenten der Republik können weder das Grundgesetz noch die in § 104 des Grundgesetzes aufgezählten Gesetze noch staatliche Steuern regelnde Gesetze oder der Staatshaushalt angenommen, geändert oder aufgehoben werden.

VIII. Abschnitt.
Finanzwesen und Staatshaushalt.

§ 111. Das ausschließliche Recht zur Emission estnischen Geldes gebührt der Estnischen Bank. Die Estnische Bank regelt den Geldumlauf und garantiert die Stabilität der staatlichen Währung.

§ 112. Die Estnische Bank handelt auf der Grundlage des Gesetzes und legt vor der Staatsversammlung Rechenschaft ab.

§ 113. Staatliche Steuern, Lasten und Gebühren, Strafen und Pflichtversicherungsbeiträge werden durch Gesetz festgelegt.

§ 114. Besitz und Nutzung sowie die Verfügung über das Staatsvermögen werden durch Gesetz geregelt.

§ 115. Für jedes Jahr nimmt die Staatsversammlung einen Haushaltsplan für alle Einnahmen und Ausgaben des Staates in der Form eines Gesetzes an.

Die Regierung der Republik legt der Staatsversammlung den Haushaltsplanentwurf spätestens drei Monate vor Beginn des Haushaltsjahres vor.

Auf Vorschlag der Regierung kann die Staatsversammlung während des Haushaltsjahres einen Nachtragshaushalt beschließen.

§ 116. Einem Vorschlag zur Änderung des Haushalts oder dessen Entwurfs der eine Verringerung der hier vorgesehenen Einnahmen eine Erhöhung oder Umverteilung der Ausgaben bedingt, ist vom Antragsteller eine Finanzrechnung beizufügen, die die zur Deckung der Ausgaben notwendigen Einkommensquellen aufzeigt.

Die Staatsversammlung darf in den Staatshaushalt oder dessen Entwurf einbezogene Ausgaben, die in anderen Gesetzen vorgesehen sind, weder streichen noch reduzieren.

§ 117. Das Verfahren der Zusammenstellung und Annahme des Staatshaushalts bestimmt ein Gesetz.

§ 118. Der von der Staatsversammlung angenommene Staatshaushalt tritt am Beginn des Haushaltsjahres in Kraft. Wenn die Staatsversammlung zu Beginn des Haushaltsjahres keinen Haushalt angenommen hat, können jeden Monat Ausgaben bis zur Höhe eines Zwölftels der Ausgaben des vorhergehenden Haushaltsjahres getätigt werden.

§ 119. Wenn die Staatsversammlung den Staatshaushalt nicht innerhalb der ersten beiden Monate des Haushaltsjahres angenommen hat, beraumt der Präsident der Republik außerordentliche Wahlen zur Staatsversammlung an.

IX. Abschnitt.
Auswärtige Beziehungen und völkerrechtliche Verträge.

§ 120. Die Beziehungen der Republik Estland zu anderen Staaten und internationalen Organisationen werden gesetzlich geregelt.

§ 121. Die Staatsversammlung ratifiziert und kündigt Verträge der Republik Estland,
1. die Staatsgrenzen ändern;
2. zu deren Erfüllung die Annahme, Änderung oder Aufhebung estnischer Gesetze notwendig ist;
3. gemäß denen die Republik Estland internationalen Organisation oder Bündnissen beitritt;
4. mit denen die Republik Estland militärische oder materielle Verpflichtungen übernimmt;
5. die eine Ratifikation vorsehen.

§ 122. Die Festlandsgrenze Estlands ist durch den Friedensvertrag von Tartu vom 2. Februar 1920 und andere zwischenstaatliche Grenzverträge festgelegt. Die estnischen See- und Luftgrenzen werden aufgrund völkerrechtlicher Konventionen festgelegt.

Die Ratifikation von Verträgen, die die estnische Grenze ändern, erfordert eine Stimmenmehrheit von zwei Dritteln der Zusammensetzung der Staatsversammlung.

§ 123. Die Republik Estland schließt keine völkerrechtlichen Verträge ab, die dem Grundgesetz widersprechen.

Wenn estnische Gesetze oder andere Akte von der Staatsversammlung ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen widersprechen, werden die Bestimmungen der völkerrechtlichen Verträge angewandt.

X. Abschnitt.
Der Staatsschutz.

§ 124. Estnische Staatsbürger sind verpflichtet, sich auf gesetzlich festgelegter Grundlage und in gesetzlich bestimmter Ordnung am Schutze der Republik zu beteiligen.

Wehrdienstverweigerer aus religiösen oder moralischen Gründen sind verpflichtet, einen Ersatzdienst in dem gesetzlich gestgelegten Verfahren zu leisten.

Wenn das Gesetz nicht im Interesse der Besonderheit des Dienstes etwas andres vorsieht, haben Personen, die sich in den Streitkräften oder im Ersatzdienst befinden, alle grundgesetzmäßigen Rechte, Freiheiten und Pflichten. Eine Einschränkung der in §§ 8 Absatz 3 und 4, 11 bis 18 , 20 Absatz 3, 21 bis 28, 32, 33, 36 bis 43, 44 Absatz 1 und 2 und 49 bis 51 vorgesehenen Rechte und Freiheiten ist nicht zulässig. Die Rechtsstellung von Personen im Militär- oder Ersatzdienst regelt ein Gesetz.

§ 125. Eine Person im aktiven Dienst darf weder ein Wahl- oder Berufungsamt ausüben noch sich an der Tätigkeit einer Partei beteiligen.

§ 126. Die Organisation der Landesverteidigung regeln die Gesetze über die Landesverteidigung in Friedenszeiten und über die Landesverteidigung in Kriegszeiten.

Die Organisation der estnischen Streitkräfte und Staatsschutzorganisationen regelt ein Gesetz.

§ 127. Der Präsident der Republik ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Beim Präsidenten der Republik besteht als beratendes Organ der Staatsschutzrat, dessen Zusammensetzung und Aufgaben gesetzlich geregelt werden.

In Friedenszeiten führt der Befehlshaber der Streitkräfte, in Kriegszeiten der Oberbefehlshaber die Streitkräfte sowie die Staatsschutzorganisationen. Der Befehlshaber und der Oberbefehlshaber werden auf Vorschlag des Präsidenten der Republik von der Staatsversammlung ernannt und aus dem Amt entlassen.

§ 128. Die Staatsversammlung verhängt auf Vorschlag des Präsidenten der Republik den Kriegszustand, die Mobilmachung und Demobilisierung und entscheidet über den Einsatz der Streitkräfte zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen des estnischen Staates.

Im Falle einer gegen die Republik Estland gerichteten Aggression verkündet der Präsident der Republik den Kriegszustand und die Mobilmachung und ernennt, ohne eine Entscheidung der Staatsversammlung anzuwarten, den Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

§ 129. Im Falle einer die grundgesetzliche Ordnung Estlands bedrohenden Gefahr kann die Staatsversammlung auf Vorschlag des Präsidenten der Republik oder der Regierung der Republik mit der Mehrheit ihrer Zusammensetzung im gesamten Staat den Ausnahmezustand verkünden, jedoch nicht länger als für drei Monate.

Die Ordnung des Ausnahmezustandes regelt ein Gesetz.

§ 130. Während des Ausnahme- oder Kriegszustandes können im Interesse der Staatssicherheit und der öffentlichen Ordnung in den gesetzlich vorgesehen Fällen und Verfahren Rechte und Freiheiten des Einzelnen eingeschränkt und diesen Pflichten auferlegt werden. Nicht eingeschränkt werden dürfen die Rechte und Freiheiten, die in den §§ 8, 11 bis 18, 20 Absatz 3, 22, 23, 24 Absatz 2 und 4, 25, 27, 28, 36 Absatz 2, 40, 41, 49 udn 51 Absatz 1 garantiert sind.

§ 131. Während des Ausnahme- und Kriegszustandes werden weder die Staatsversammlung, der Präsident der Republik, noch die Vertretungsorgane der örtlichen Selbstverwaltung gewählt oder deren Vollmachten beendet.

Die Vollmachten der Staatsversammlung, des Präsidenten der Republik und der Abgeordnetenversammlung der örtlichen Selbstverwaltungen werden verlängert, wenn sie während eines Ausnahme- oder Kriegszustandes oder im Verlauf von drei Monaten ab Beendigung des Ausnahme- oder Kriegszustandes enden würden. In diesem Falle werden innerhalb von drei Monaten ab Beendigung des Ausnahme- oder Kriegszustandes Neuwahlen anberaumt.

XI. Abschnitt.
Die Staatskontrolle.

§ 132. Die Staatskontrolle ist ein in ihrer Tätigkeit unabhängiges Staatsorgan, das die Wirtschaftskontrolle durchführt.

§ 133. Die Staatskontrolle überprüft:
1. die wirtschaftliche Tätigkeit der Staatseinrichtungen, Staatsunternehmen und sonstiger staatlicher Organisationen;
2. die Verwendung und Bewahrung des staatlichen Eigentums;
3. die Verwendung des und die Verfügung über das den örtlichen Selbstverwaltungen anvertrauten Staatseigentums;
4. die Wirtschaftstätigkeit derjenigen Unternehmen, in denen der Staat mehr als die Hälfte der durch Einlagen oder Aktionen vertretenen Stimmen besitzen oder deren Anleihen oder vertraglichen Verpflichtungen vom Staat garantiert werden.

§ 134. Die Staatskontrolle leitet der Staatskontrolleur, der von der Staatsversammlung auf Vorschlag des Präsidenten der Republik ernannt und abberufen wird.

Die Amtsperiode des Staatskontrolleurs beträgt fünf Jahre.

§ 135. Der Staatskontrolleur legt der Staatsversammlung eine Übersicht über die Verwendung des und die Verfügung über das Staatsvermögen im letzten Haushaltsjahr gleichzeitig mit dem Bericht über den Vollzug des Staatshaushaltes zur Erörterung in der Staatsversammlung vor.

§ 136. Der Staatskontrolleur kann in Angelegenheiten, die in seine Zuständigkeit fallen, mit dem Recht auf Wortmeldung an den Sitzungen der Regierung der Republik teilnehmen.

Der Staatskontrolleur hat als Leiter seines Amtes die gleichen Rechte, die durch Gesetz einem Minister als Leiter eines Ministeriums übertragen sind.

§ 137. Das Verfahren der Staatskontrolle wird durch Gesetz bestimmt.

§ 138. Der Staatskontrolleur darf nur auf Vorschlag des Justizkanzlers mit Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder der Staatsversammlung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

XII. Abschnitt.
Der Justizkanzler.

§ 139. Der Justizkanzler ist eine in seiner Tätigkeit unabhängige Amtsperson, die die Aufsicht über die Grundgesetz- und Gesetzmäßigkeit der gesetzgebenden und vollziehenden Staatsgewalt sowie über die rechtsschöpfenden Akte der örtlichen Selbstverwaltung ausübt.

Der Justizkanzler analysiert die ihm zugeleiteten Vorschläge zu Gesetzesänderungen, zur Annahme neuer Gesetze und in Bezug auf die Arbeit der Staatsorgane und erstattet im Falle der Notwendigkeit der Staatsversammlung Bericht.

Der Justizkanzler macht der Staatsversammlung in den in §§ 76, 85, 101, 138 und 153 des Grundgesetzes vorgesehenen Fällen den Vorschlag, ein Mitglied der Staatsversammlung, den Präsidenten der Republik, ein Mitglied der Regierung der Republik, den Staatskontrolleur, den Vorsitzenden des Staatsgerichtshofs oder ein Mitglied des Staatsgerichtshofes strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

§ 140. Der Justizkanzler wird auf Vorschlag des Präsidenten der Republik von der Staatsversammlung für sieben Jahre ernannt.

Der Justizkanzler kann nur kraft Gerichtsurteil seines Amtes entbunden werden.

§ 141. Der Justizkanzler hat bei der Leitung seiner Kanzlei dieselben Rechte, die durch Gesetz einem Minister zur Leitung eines Ministeriums übertragen sind.

Der Justizkanzler kann mit dem Recht auf Wortmeldung an Sitzungen der Staatsversammlung und der Regierung der Republik teilnehmen.

§ 142. Ist der Justizkanzler der Meinung, daß ein rechtsschöpfender Akt der gesetzgebenden oder vollziehenden Staatsgewalt oder der örtlichen Selbstverwaltung grundgesetz- oder gesetzwidrig ist, macht er demjenigen Staatsorgan, das den Akt angenommen hat, den Vorschlag, diesen innerhalb von zwanzig Tagen mit dem Grundgesetz oder mit dem Gesetz in Einklang zu bringen.

Ist der Akt nicht innerhalb von zwanzig Tagen mit dem Grundgesetz oder dem Gesetz in Einklang gebracht worden, macht der Justizkanzler dem Staatsgerichtshof den Vorschlag, den Akt für ungültig zu erklären.

§ 143. Der Justizkanzler legt der Staatsversammlung einmal jährlich eine Übersicht über die Grundgesetz- und Gesetzmäßigkeit der rechtsschöpfenden Akte der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt der Staatsorgane und der örtlichen Selbstverwaltung vor.

§ 144. Die Rechtsstellung des Justizkanzlers und die Arbeitsordnung seiner Kanzlei regelt ein Gesetz.

§ 145. Der Justizkanzler kann nur auf Vorschlag des Präsidenten der Republik mit Zustimmung der Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

XIII. Abschnitt.
Das Gericht.

§ 146. Nur ein Gericht darf Recht sprechen. Das Gericht ist in seiner Tätigkeit unabhängig und spricht Recht nur im Einklang mit dem Grundgesetz und den Gesetzen.

§ 147. Richter werden auf Lebenszeit in ihr Amt berufen. Die Gründe und das Verfahren der Amtsenthebung eines Richters werden gesetzlich gestgelegt.

Richter dürfen nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung aus dem Amt entlassen werden.

Richter dürfen außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen in keinem anderen Wahl- oder Berufungsamt stehen.

Die Grundlagen der Unabhängigkeit der Richter und ihre Rechtsstellung bestimmt das Gesetz.

Die Rechtsprechung in Estland vollziehen die Gerichte, die in Erfüllung ihrer Tätigkeit unabhängig sind.

§ 148. Das Gerichtssystem besteht aus:
1. den Land- und Stadtgerichten sowie den Verwaltungsgerichten;
2. den Bezirksgerichten;
3. dem Staatsgerichtshof.

Die Errichtung von Sondergerichten für bestimmte Gerichtssachen bestimmt ein Gesetz.

Die Errichtung von außerordentlichen Gerichten ist verboten.

§ 149. Die Land- und Stadtgerichte sowie die Verwaltungsgerichte sind Gerichte der ersten Instanz.

Die Bezirksgerichte sind Gerichte der zweiten Instanz und prüfen im Appellationsverfahren Entscheidungen der ersten Instanz.

Der Staatsgerichtshof ist das oberste Gericht des Staates, das Gerichtsentscheidungen im Kassationsverfahren überprüft. Der Staatsgerichtshof ist gleichzeitig auch Gericht der Grundgesetzaufsicht.

Die Gerichtsordnung und das Gerichtsverfahren werden durch Gesetz bestimmt.

§ 150. Der Vorsitzende des Staatsgerichtshofs wird auf Vorschlag des Präsidenten der Republik von der Staatsversammlung ernannt.

Die Mitglieder des Staatsgerichtshofs ernennt die Staatsversammlung auf Vorschlag des Vorsitzenden des Staatsgerichtshofs.

Die anderen Richter werden vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag des Staatsgerichtshofs ernannt.

§ 151. Die Regelung der Vertretung, die Verteidigung, der staatlichen Anklage sowie der Kontrolle der Gesetzlichkeit im Gerichtsverfahren regelt ein Gesetz.

§ 152. Das Gericht wendet bei Entscheidung einer Gerichtssache kein Gesetz oder sonstigen Rechtsakt an, der im Widerspruch zum Grundgesetz steht.

Der Staatsgerichtshof erklärt jedes Gesetz oder sonstigen Rechtsakt für ungültig, der im Widerspruch zu Wort und Sinn des Grundgesetz steht.

§ 153. Richter dürfen während ihrer Amtszeit nur auf Vorschlag des Staatsgerichtshofs mit Zustimmung des Präsidenten der Republik strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Der Vorsitzende und die Mitglieder des Staatsgerichtshofs können nur auf Vorschlag des Justizkanzlers mit Zustimmung der Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

XIV. Abschnitt.
Die örtliche Selbstverwaltung.

§ 154. Alle Fragen des örtlichen Lebens entscheiden und regeln die örtlichen Selbstverwaltungen, die auf der Grundlage der Gesetze selbständig handeln.

Der örtlichen Selbstverwaltung können Verpflichtungen nur aufgrund eines Gesetzes oder aufgrund einer Übereinkunft mit der örtlichen Selbstverwaltung auferlegt werden. Die mit den der örtlichen Selbstverwaltung gesetzlich auferlegten staatlichen Verpflichtungen verbundenen Kosten werden aus dem Staatshaushalt ersetzt.

§ 155. Die Einheiten der örtlichen Selbstverwaltung sind die Gemeinden und Städte.

Andere Einheiten der örtlichen Selbstverwaltung können auf gesetzlich festgelegter Grundlage gesetzlich und im gesetzlichen Verfahren gebildet werden.

§ 156. Das Vertretungsorgan der örtlichen Selbstverwaltung ist die Abgeordnetenversammlung, die in freien Wahlen für drei Jahre gewählt wird. Die Wahlen sind allgemein, gleich und direkt. Die Abstimmung erfolgt geheim.

Bei den Wahlen zur Abgeordnetenversammlung der örtlichen Selbstverwaltung sind unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen diejenigen Personen stimmberechtigt, die ständig auf dem Territorium dieser Selbstverwaltung wohnen und das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben.

Durch Grundgesetzänderungsgesetz vom 25. Februar 2003 erhielt der § 156 Absatz 1 mit Wirkung vom 17. Oktober 2005 folgende Fassung:
"Das Vertretungsorgan der örtlichen Selbstverwaltung ist die Abgeordnetenversammlung, die in freien Wahlen für vier Jahre gewählt wird. Die Mandatsdauer einer Versammlung kann durch ein Gesetz, infolge einer Verschmelzung oder Aufteilung der örtlichen Selbstverwaltung oder im Falle der Handlungsunfähigkeit der Versammlung verkürzt werden. Die Wahlen sind allgemein, gleich und direkt. Die Abstimmung erfolgt geheim."

§ 157. Die örtliche Selbstverwaltung hat einen selbständigen Haushalt, dessen Aufstellungsgrundlagen und -verfahren ein Gesetz bestimmt.

Die örtlichen Selbstverwaltungen haben auf der Grundlage des Gesetzes das Recht, Steuern einzuführen und zu erheben sowie andere Lasten aufzuerlegen.

§ 158. Die Grenzen der örtlichen Selbstverwaltungseinheiten dürfen ohne Anhörung der entsprechenden Selbstverwaltungen nicht geändert werden.

§ 159. Die örtlichen Selbstverwaltungen haben das Recht mit anderen örtlichen Selbstverwaltungen Verbände und gemeinsame Einrichtungen zu bilden.

§ 160. Die Organisation der örtlichen Selbstverwaltung und die Aufsicht über ihre Tätigkeit wird durch Gesetz geregelt.

XV. Abschnitt.
Die Abänderung des Grundgesetzes.

§ 161. Das Recht, eine Grundgesetzänderung einzuleiten, haben wenigstens ein Fünftel der Zusammensetzung der Staatsversammlung und der Präsident der Republik.

Die Einleitung einer Grundgesetzänderung sowie eine Grundgesetzänderung während eines Ausnahme- oder Kriegszustandes ist unzulässig.

§ 162. Der I. Abschnitt "Allgemeine Bestimmungen" und der XV. Abschnitt "Die Abänderung des Grundgesetzes" können nur durch Volksabstimmung geändert werden.

siehe hierzu das Gesetz über die Ergänzung des Grundgesetzes vom 5. Oktober 2003 (betr. die Ratifikation des Beitrittsvertrags zur Europäischen Union)

§ 163. Das Grundgesetz kann durch ein Gesetz geändert werden, das angenommen wurde:
1. durch Volksabstimmung;
2. durch die Staatsversammlung in zwei aufeinanderfolgenden Zusammensetzungen;
3. durch die Staatsversammlung im Dringlichkeitsverfahren.

Der Gesetzentwurf zur Grundgesetzänderung wird in der Staatsversammlung in drei Lesungen erörtert, wobei zwischen erster und zweiter Lesung mindestens drei Monate und zwischen zweiter und dritter Lesung mindestens ein Monat verstreichen müssen. Die Art der Grundgesetzänderung wird anläßlich der dritten Lesung entschieden.

§ 164. Um eine Gesetzesvorlage zur Grundgesetzänderung einer Volksabstimmung zuzuleiten, bedarf es einer Dreifünftelmehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung. Die Volksabstimmung findet frühestens drei Monate nach Annahme des entsprechenden Beschlusses in der Staatsversammlung statt.

§ 165. Zur Grundgesetzänderung durch zwei aufeinanderfolgende Zusammensetzungen der Staatsversammlung muß der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes die Unterstützung der Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung bekommen.

NImmt die neue Zusammensetzung der Staatsversammlung in erster Lesung mit drei Fünfteln ihrer Zusammensetzung eine Gesetzesvorlage zur Grundgesetzänderung unverändert an, die die Unterstützung der Mehrheit der vorherigen Zusammensetzung erhalten hat, ist die Gesetzesvorlage zur Grundgesetzänderung angenommen.

§ 166. Die Entscheidung, eine Grundgesetzänderung im Dringlichkeitsverfahren durchzuführen, wird von der Staatsversammlung mit Vierfünftelmehrheit angenommen. Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes wird in diesem Falle mit Zweidrittelmehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung angenommen.

§ 167. Das Gesetz zur Grundgesetzänderung wird vom Präsidenten der Republik verkündet und tritt zu dem vom Gesetz bestimmten Zeitpunkt, jedoch nicht früher als drei Monate nach der Verkündung in Kraft.

§ 168. Eine Grundgesetzänderung in der selben Frage darf nicht innerhalb eines Jahres ab dem Tag der Zurückweisung in einer Volksabstimmung oder in der Staatsversammlung eingeleitet werden.

Zur Übersetzung estnischer Begriffe:
- Eesti = Estland
- Eesti Vabariigi = Estnische Republik oder Republik Estland
- Riigi = Staat
- Vabariigi = Republik
- seadus = Gesetz
- põhiseadus = Grundgesetz
- Konstitutsioon = Verfassung
- Riigi Teataja = Staatsanzeiger, Staatsblatt (Gesetzblatt der Republik seit 1918)

Die estnischen Bezeichnungen der Staatsorgane und ihre mögliche Übersetzung:
- Riigikogu = Staatsversammlung, Reichstag, Reichsrat, Staatsrat.
- Peaministrist = Ministerpräsident, Premierminister, wörtlich: Oberminister
- Riigikohust = Staatsgericht, Staatsgerichtshof

Durch die Verfassung wurde eine parlamentarische Republik mit starker Stellung des Präsidenten gebildet, und ist damit eher von der autoritären Verfassung von 1937 entnommen als von der parlamentarischen Verfassungsordnung des Jahres 1920.
 


Quellen: Staatsanzeiger (Riigi teataja), 1992, Nr. 26 Nr. 349
Botschaft der Republik Estland, Berlin
Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 6. Auflage 2005
Roggemann, Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, Berlin Verlag, 1999
© 18. Juni 2007 - 22. Juni 2007


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