Staatsrecht des Herzogtums Livland

 

der Jahre 1721 bis 1918

Livland, das bis 1918 der Name eines Gouvernements des russischen Kaiserreiches war, und das heute zwischen Estland und Lettland geteilt ist, war durch den Frieden von Nystadt vom 30. August 1721 an das Kaiserreich Russland (unter Zar Peter dem Großen) gekommen, nachdem es vorher seit 1629 unter schwedischer Herrschaft stand. Unter den Artikeln 9 bis 11 wurden dem Herzogtum Estland und dem Herzogtum Livland ihre jeweiligen Privilegien, die sie unter der schwedischen Krone besessen haben, als immerwährend von Zar Peter dem Großen für sich uns seine Nachfolger bestätigt.

Da Livland, wie Estland bereits seit 1710 von Russland besetzt war, kam es zwischen der Ritterschaft beider Länder und Russland zu Kapitulationen, die die Privilegien der Länder bestätigte und auf diesen Kapitulationen ruhte das Staatsrecht Livlands in der Zeit zwischen 1721 und 1918 (völkerrechtliche Zeit der Zugehörigkeit Livlands zum Kaiserreich Russland). Nur die Zeit zwischen 1860 und 1905 sowie von 1910 bis 1917 war durch eine verstärkte bis radikale Russifizierungspolitik in Livland geprägt, welche die Privilegien der Ritterschaft immer mehr einengte.

Die Kapitulation der livländischen Ritter- und Landschaft und der Stadt Riga mit dem Kaiserreich Russland stammt vom 4. Juli 1710 und wurde in der Gesetzsammlung des Russischen Reiches (Swod) unter der Nummer 2277 sowie unter der Nummer 2286 geführt.

Livland ist heute nur noch eine Landschaftsbezeichnung; sowohl das Volk der Liven (verwandt mit den Esten, nicht mit den Letten !!!) ist nahezu ausgestorben (wird aber in Lettland als ethnische Minderheit anerkannt (ca. 100 Personen !!!)) als auch das Land wurde 1918 geteilt. Das nördliche Livland, in dem fast ausschließlich Esten wohnten, wurde Teil Estlands (Streitigkeiten um die Grenzziehung bis 1921), das südliche Livland, der mehrheitlich von Letten bewohnt war, wurde Teil Lettlands (mit der "Livländischen Schweiz"). In Livland lebten Esten und Letten eher feindlich gegeneinander gesinnt, zusammen.

Die Privilegien Livlands umfasste insbesondere als Selbstverwaltung folgende Bereiche: die Rechtsprechung, die Landpolizei, die Kirchenverwaltung, die Schulverwaltung, die Verwaltung der Angelegenheiten der allgemeinen Wohlfahrt, die Post und die Gemeinde- und Stadtverwaltung.

So bestanden neben der allgemeinen Verwaltung eines Gouvernements, Kronbehödrden genannt, auch die Landesbehörden genannten Organe der Selbstverwaltung in Livland. Während die Kronbehörden samt dem Gouverneur oder Statthalter den zentralen russischen Behörden und Ministerien unterstand, waren die Landesbehörde selbstständige und unabhängige Behörden.

Livland war
in 5 Kreise: Riga, Wenden, Dorpat, Pernau und Ösel (Sonderstatus mit eigenem Landtag);
in 11 Städte: Riga (mit der Festung Dünamünde), Wenden, Dorpat, Pernau, Schlock, Wolmar, Lemsal, Fellin, Walk, Werro und Arensburg (Ösel);
in 28 Kirchspiele und Livland und ? Kirchspiele auf Ösel;
in Landgüter.

Als wichtigste Landesbehörde bestand der Landtag des Herzogtums Livland und ein Landtag für die Insel Ösel.

Die Vertretung des ganzen Landes in allen seinen Interessen und in Bezug auf das gesamte Recht hatte in Livland der Landtag und getrennt davon auf der Insel Ösel der Landtag der Insel.

Die Landtage trat alle drei Jahre zusammen; der livländische in Riga, der Landtag der Insel Ösel in Arensburg.

Die Landtag waren Virillandtage. Ein Stimmrecht hat jeder Besitzer eines in die Landrolle eingetragenen Gutes; im livländischen Landtag war auch die Stadt Riga vertreten.

Die Beschlüsse wurden gefaßt durch einfache Majorität der Landtagsmitglieder.

Der Landtag war berechtigt, über alle den Adel und die Interessen des gesamten Landes berührenden Angelegenheiten zu beschließen. Er hatte daher die Möglichkeit, die Initiative in Gesetzgebungsangelegenheiten zu ergreifen, ein ausgedehntes Petitionsrecht an die Regierung, die Beschlussfassung in allen wichtigen Angelegenheiten der örtlichen Wohlfahrt, der Landesprästanden, der Verwaltung der Kirchen, der Landesschulen, das Recht der Selbstbesteuerung, das Wahlrecht zu den Ämtern der Landesvertretung, der Richter, der Polizeibeamten und des Konsistoriums. Auch hatte er das Recht, Immediateingaben an den Kaiser zu richten.

Die in die livländische Adelsmatrikel und die Adelsmatrikel der Insel Ösel aufgenommenen adligen Gutsbesitzer hatten verschiedene Vorrechte. In Livland und auf der Insel Ösel bestand das Vorrecht darin, an den Wahlen betreffend die Repräsentation und die innere Verwaltung der Ritterschaft teilzunehmen.

Die Vertretung des Landes in Livland hatte nach außen der Landmarschall, der auf 3 Jahre vom Landtag gewählt wurde; an der Spitze der Verwaltung stand der residierende Landrat, welcher der Vertreter des Landes innerhalb Livlands war. Die Verwaltung der Landesangelegenheiten wird vom Landratskollegium geführt, bestehend aus 12 auf Lebenszeit gewählten Landräten, von denen einer als residierender Landrats permanent oder abwechselnd die Verwaltung führt. Wichtige Angelegenheiten kommen vor den Konvent, der zweimal jährlich zu ordentlichen Versammlungen zusammenkommt, sonst zu außerordentlichen. Derselbe besteht aus je 3 von den 4 Kreisen (ohne Ösel) auf 3 Jahre zu wählenden Deputieren, welche unter dem Vorsitz des Landmarschalls ihre Sitzungen in Gegenwart des Landratskollegiums halten, welches in allen Sachen sein Gutachten gibt, während die Beschlüsse von den Deputierten gefaßt werden.

Die Besetzung der Landesbehörden fand durch Wahl auf dem Landtage statt; für die Kreisämter wurde nach Kreisen gewählt, aber auf dem Landtag. War der Landtag nicht versammelt, so konnten Kreisämter unter gewissen Bedingungen durch Wahl des Konvents (des Landrates) besetzt werden.

Als Landesbehörden des Herzogtums Livland bestanden:

- die Landesgerichte. In Livland bestanden als Landesgerichte: in jedem der fünf Kreise ein Gericht und das Hofgericht.

Die Mitglieder der Kreisgerichte wurden auf 6 Jahre, die des Hofgerichts auf Lebenszeit gewählt.

Die Kompetenz der Gerichte hatte sich allmählich historisch festgestellt; sie beruhet daher in persönlicher Hinsicht auf dem Standesprinzip; es bestanden viele Spezialbestimmungen und Verschiedenheiten, und die ausgleichende Regulierung durch die Gesetzgebung wurde vermißt. Zwar hatte der Kaiser mit Datum vom 28. Mai 1880 ein Gesetz über die Organisation der Friedensrichter in den baltischen Gouvernements erlassen, doch wurde es durch die Kron- und Landesbehörden einfach ignoriert und durch Ukas vom 3. Oktober 1884 wieder sistiert, bis zur Reorganisation der Bauernbehörden. Das Gesetz von 1880 hätte in Livland die russische Friedensgerichtsordnung eingeführt, allerdings mit den Sonderbestimmungen, dass der Gebrauch der deutschen Sprache zulässig war und die Wahl der Friedensrichter der örtlichen Bevölkerung übertrug.

- die Bauerngerichte. Diese, für die bäuerliche Bevölkerung (siehe auch weiter unten) und deren Angelegenheiten errichtetn Behörden beruhten vollständig auf Landesinitiative und standen in enger Beziehung zur Agrarreform der Jahre um 1880. Eingeführt wurden sie zu einer Zeit, wo es sich darum handelte, die Leibeigenschaft aufzuheben und den Bauer allmählich in eine selbständige Stellung hinüber zu leiten; daher war die selbständige Stellung der Bauerngerichte von anderen Gerichten und deren getrennte Organisation sowie die Vereinigung von richterlichen und Verwaltungsbefugnissen in diesen wichtig und einzusehen.

Von den russischen Bauernbehörden unterschieden sich die livischen Bauerngerichte dadurch, dass jene mit einem umfangreichen Ermessen ausgestattete Verwaltungsbehörden waren, diese aber Gerichte, welche wesentlich und stets das Gesetz anzuwenden hatten und denen die Entscheidungen und Verfügungen in gewissen Verwaltungssachen übertragen waren, was bekanntlich einen bedeutenden Unterschied macht.

Die Bauerngerichte waren unterteilt in:

A. Das Gemeindegericht, das für eine oder mehrere Gemeinden gemeinschaftlich bestand und das in Zivil- und geringfügigen Strafsachen (Polizeivergehen) der Landgemeindeglieder urteilte. Es war, wie alle anderen Gerichte Livlands, ein Standesgericht, aber jeder, der gegen ein Mitglied einer Landgemeinde eine Klage hatte, musste sie bei diesem Gericht anbringen und seine Sache wurde von diesem Gericht entschieden. Die Gemeindegerichte Livlands waren eben solche Gerichte, und nicht wie die russischen Gemeindegerichte, Behörden für Bauern, um welche Leute anderer Stände, wenn sie wollen, sich gar nicht zu kümmern brauchten.
Das Gemeindegericht bestand aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, die von der Gemeinde gewählt wurden, ersterer aus den Grundeigentümern und Pächtern, letztere aus allen Gemeindegliedern, alle auf drei Jahre. Der Schreiber wurde von der Gemeindeverwaltung angestellt. Das Gemeindegericht war auch Gericht erster Instanz in allen Sachen unstreitiger Rechtssachen, beglaubigte Verträge aller Art und war Vormundschaftsamt.

B. Das Kirchspielsgericht, bestand aus dem Kirchspielrichter, gewählt auf Versammlungen der aus mehreren Pfarrkirchspielen bestehenden Kirchspielgerichtsbezirke von allen Gutsbesitzern, auch den Predigern, als Vertretern der kirchlichen Widmen, und drei Beisitzern, gewählt von den Richtern aller zum Kirchspiel gehörenden Gemeindegerichten. Das Kirchspielsgericht war zugleich in Zivilsachen und Polizei-, Vormundschafts- und Aufsichtsbehörde über die Verwaltung der Landgemeindesachen.
Als Aufsichtsbehörde hatte es die Kontrolle der Gemeindeverwaltungen und -beamten. Der Kirchspielsrichter revidierte jährlich die Gemeindeverwaltung und hatte die Aufsicht über die Gemeindekassen.

C. Das Kreisgericht, das aus einem Kreisrichter und zwei Assessoren bestand, die auf dem Landtage nach Kreisen auf drei Jahre gewählt wurden und aus je zwei Beisitzern der sämtlichen Kirchspielsgerichtsbeisitzern des Kreises, die ebenfalls auf drei Jahre gewählt wurden. Es war der Gerichtshof erster Instanz in Klagsachen von Landgemeindegliedern gegen alle nicht steuerpflichtigen Personen und Gerichtshof zweiter Instanz in allen Beschwerde- und Appellationssachen von den Kirchspielsgerichten. Es urteilte in Amtsvergehensfällen der Mitglieder der Gemeindegerichte bis zur Strafe der Amtsentsetzung. Es war Obervormundschaftsbehörde für Bauern und Korroborationsbehörde für den Erwerb bäuerlicher Grundstücke.

D. Das Hofgericht bildete eine Abteilung, welche die IV. und bis in das Jahr 1885 letzte Instanz der Bauern Livlands bildete.

E. Der Senat des Russischen Reiches war ab 1885 auch für die livländischen Bauerngerichte die letzte Instanz.

- Die Landpolizeibehörden. Deren Befugnisse wurden durch Reichsgesetz geregelt, wozu in Livland noch die Beaufsichtigung des Wegebaus, der Krüge, u. s. w. kamen. Die Behörden waren kollegialisch organisiert und wurden "Ordnungsgerichte" genannt. Deren Mitglieder bezogen eine Besoldung aus der Landeskasse.

Im Livland bestanden acht Ordnungsgerichtsbezirke sowie acht Propsteibezirke, je zwei in einem Kreis. In jedem hat ein Propst die Aufsicht über die Geistlichkeit.

Die Verwaltung dieses Amtes durch Selbstverwaltungsbeamte, denen keine bewaffnete Polizeimannschaft zu Seite stand, die größere Ordnung udn Sicherheit, die unvergleichlich bessere Instandhaltung der Wege durch ihre Aufsicht lieferte für Livland wie auch die beiden anderen russischen Ostseeprovinzen lange Zeit den besten Beweis dafür, wie sehr die Selbstverwaltung heimisch ist und wie Tüchtiges von ihr geleistet wurde.

Durch russisches Reichsgesetz vom 9. Juli 1881 waren aber die Landpolizeibehörden in Livland abgeschafft. An deren Stelle trat eine allein vom Gouverneur abhängige, bürokratisch organisierte Polizei.

Auf dem Lande hatte der Gemeindeälteste die Polizei zu handhaben, er war sowohl dem Kirchspielsgericht als der Polizeibehörde untergeordnet; zur Aufrechterhaltung seiner Autorität stand ihm eine Strafgewalt zu.

Auf den Gütern wurde die Polizei von der Gutsverwaltung gehandhabt. Sie wurde vom Gutsbesitzer selbst ausgeübt, oder dem Arrendator oder einem sonstigen Bevollmächtigten des Gutsbesitzers, der dem Kirchspielsgericht und den Landpolizeibehörden angezeigt werden musste. Die Gutspolizei konnte auch auf den örtlichen Gemeindeältesten übertragen werden. Die Befugnisse der Gutspolizei waren: Publikation der Gesetze auf dem Hofslande, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Verhaftung von Vagabunden und Verbrecher, Ergreifung der nötigen Maßregeln bei Feuersbrünste, Bericht an die Behörden über außerordentliche Ereignisse, Einsammlung statistischer Daten, das Recht, persönliche Auskünfte, Schutz und persönliche Hilfe von der Gemeindepolizei zu verlangen und der Aufsichtsbehörde über Nichterfüllung der polizeilichen Pflichten seitens des Gemeindeältesten zu berichten. Die Gutspolizei besaß keinerlei Strafgewalt.

- Das Konsistorium als Verwaltung der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Livland wurde unterteilt in ein Landeskonsistorium, das Konsistorium der Insel Ösel und ein städtisches Konsistorium. Das livländische Konsistorium sowie das Konsistorium der Stadt Riga hatten ihren Sitz in Riga, das der Insel Ösel in Arensburg.

Das Landeskonsistorium bestand aus einem weltlichen Präsidenten, einem geistlichen Vizepräsidenten (dem Generalsuperintendenten), zwei weltlichen und zwei geistlichen Räten. Der Präsident, der Generalsuperintendent und die weltlichen Räte wurden vom Landtag gewählt, die geistlichen Räte vom Konsistorium selbst. Ebenso wie das Landeskonsistorium bestand das Konsistorium der Insel Ösel in gleicher Zusammensetzung, allein der geistliche Vizepräsident führte den Titel eines Superintendenten; die Mitglieder des Konsistoriums der Insel Ösel wurden vom Landtag der Insel gewählt.

Die Konsistorien waren sowohl Verwaltungsbehörden als auch Gerichte. Sie hatten die Ausübung des Kirchenregiments, die Fürsorge für die Verwaltung des geistlichen Amtes, die Beaufsichtigung desselben, sie handhaben die Disziplin über die Geistlichkeit und hatten die Gerichtsbarkeit über Amtsverbrechen und Geistlichen und in Ehesachen auszuüben.

Das städtische Konsistorium in Riga wurden durch Wahlen des Stadtrates gebildet und der wortführende Bürgermeister der Stadt war stets auch Präsident des städtischen Konsistoriums. Auch dieses bestand aus einem geistlichen Vizepräsidenten mit dem Titel Superintendent sowie zwei weltlichen und zwei geistlichen Räten.

- das Landratskollegium war Träger der Selbstverwaltung Livlands; diesem waren folgende Behörden unterstellt:

a. die Ritterschaftskanzlei als direkt dem Ritterschaftshauptmann und dem -ausschuss unterstehende Kanzlei, bestanden aus einem Sekretär, einem Notar, einem Rentmeister und anderen Beamten, die vom Landtag gewählt wurden. Die Kanzlei hatte die Schriftführung in allen Sachen für den Landtag, das Landratskollegium, das Hofgericht und den Landmarschall.

b. die Kassa-Deputierten wurden vom Landtag gewählt und waren für die Verwaltung der Ritterschaftskasse, die Kontrolle der Ein- und Ausgaben, die Fürsorge für rechtzeitige Einzahlung zuständig. Sie nahmen an den Beratungen des Ritterschaftsausschusses teil, aber nicht an den Abstimmungen; zur Revision der Kasse wurden vom Landtag zwei Kassa-Revidenten auf drei Jahre gewählt.

c. die Ritterschafts-Güterkommission, die aus einem Landrat und vier nach Kreisen gewählten Deputierten bestand und die für die Verwaltung, Verpachtung und Revision der Ritterschaftsgüter zuständig war.

d. die Verwaltung der Posten und Weg  stand unter der Oberleitung des Landmarschalls sowie der Kassa-Deputierten. Die oberste Verwaltung des Fahrpostwesens, wie die Repartition der gesetzlichen Fouragelieferung an die Poststationen auf die Güter und die Bauernschaften und die Vergebung der Poststationen in Administration oder Pacht an die Postkommissäre, stand dem Landratskollegium zu.

Außerdem bestand für jeden Postierungsbezirk ein Konvent, der aus den Gutsbesitzern des Postierungsbezirks bestand. Jeder Bezirk erhielt eine oder mehrere Poststationen. Jeder Postierungs-Konvent wählte einen Postierungsdirektor, war für die notwendigen Reparaturen an den Posteinrichtungen zuständig und beschloss über die Post-Bauten. Die Baulast war so verteilt, dass die Gutsbesitzer das Material und die baren Ausgaben zu leisten hatten, die Gemeinden aber die Anfuhr zu leisten und die Arbeiter zu stellen hatten. Der Postierungsdirektor beaufsichtigte die Poststationen seines Bezirks und führte die Beschlüsse des Konvents aus.

- die Schulverwaltung war unterteilt in eine Landesschulverwaltung, eine Kreisschulverwaltung und eine örtliche Schulverwaltung. Sie unterstand bis zu dem Jahr 1886 in Aufsicht und Gesetzgebung den Landesbehörden, doch hat mit dem Jahr 1886 (infolge der Russifizierung) die russische Zentralbürokratie die Gesetzgebung und die Aufsicht der Schulverwaltung übernommen, indem die livländische Schulverwaltung dem russischen Ministerium für Volksbildung unterstellt wurde. Trotzdem bestanden die Landesschulbehörden als ausführende Organe des russischen Ministeriums fort.

Als Landesschulbehörde bestand die Oberlandschulbehörde, die aus vier Oberkirchenvorstehern, die aus den Landräten, für jeden Kreis einer, vom Landtag gewählt wurden, aus dem Generalsuperintendenten und einem besoldeten Schulrat bestand. Er hatte die Oberleitung des Volksschulwesens, traf die Anordnungen zur Förderung desselben mit Zustimmung des Landtags, stellte den Geschäftsgang der Verwaltung fest, regelte die Prüfung, Besoldung und Anstellung der Lehrer, genehmigte die Lehrpläne und Lehrbücher und entschied alle Anfragen und Beschwerden der Schulen und Verwaltungen.

Die Landesschulbehörde Livlands war nicht zuständig für die Insel Ösel, auf der eine gesonderte Landesschulbehörde bestand, die gleichzeitig Kreisschulverwaltung war und vom Landtag der Insel Ösel gewählt wurde.

- zur Kreisverwaltung zählten die Oberkirchenvorsteher-Ämter, von denen in jedem Kreis (außer der Insel Ösel) ein Amt existierte, das aus dem Oberkirchenvorsteher, welcher vom Landtag nach Kreisen aus den Mitgliedern des Landratskollegiums gewählt wurde und einem weltlichen und einem geistlichen Beisitzer bestand von denen der erste vom Landtag nach Kreisen, und der letzte aus den beiden Pröpsten des Kreisen gewählt wurde. Dieses Amt ist Aufsichts- und Beschwerde-Instanz für die Selbstverwaltungsorgane in den Kirchspielen.

In jedem Kreis Livlands (außer der Insel Ösel) gab es eine Kreisversammlung aus sämtlichen Gutsbesitzern; in Ösel ein eigenständiger Landtag, der aber auch die Aufgaben der Kreisverwaltung übernahm. Die Kreisversammlung beschloss Willigungen zur Befriedigung von Interessen des Kreises; sie waren aber nur berechtigt, das zur freien Disposition des Gutsbesitzers verbliebene sogenannte Hofesland, nicht aber das Bauernland zu besteuern. Gegenstände der Bewilligungen sind Gehaltszulagen für Land-, Kreis- und Ordnungsgerichte, Subvention von Schulen und Krankenhäusern, Pensionen und Unterstützungen.Die Kreisversammlungen wurden auf Anordnung der Gouvernementsregierung und des Landratskollegiums ausgeschrieben, und die Beschlüsse derselben wurden von dem einen oder dem anderen bestätigt. Die Einberufung und Leitung der Kreisversammlungen sowie die Ausführung der Beschlüsse hatte der Oberkirchenvorsteher.

Außerdem gab es eine Kreislandschulbehörde, die unter dem Vorsitze des Oberkirchenvorstehers aus den Mitgliedern des Oberkirchenvorsteher-Amtes, je einem von jeder Ritterschaft gewählten weltlichen und einem vom Konsistorium erwählten geistlichen Schulrevidenten und je einem von sämtlichen Kirchspiels-Schulältesten aus ihrer Mitte erwählten Mitglieder aus jedem Propsteibezirk bestand. Die Kreislandschulbehörde entschied die Klagen über die Kirchspiels-Schulverwaltungen, traf die Verfügungen auf die jährlichen Berichte und Revisionen, hatte die Bestrafung und Absetzung der Kirchspiels-Schullehrer wegen Untauglichkeit, Amtsvernachlässigung oder unsittlichen Lebenswandel und die Feststellung und Bestätigung der Lehrpläne neu zu errichtender Schulen.

- zur örtlichen Gemeindeverwaltung zählten

1. der Kirchspielskonvent, der in jedem Pfarr-Kirchspiel bestand und der für die Angelegenheiten, welche nicht die Kirche und Schule betreffen; er bestand aus den Ritterguts- und Widmenbesitzern, den Arrendatoren der Krongüter und den Gemeindeältesten der Landgemeinden. Da jedes Gut seine besondere Gemeinde hatte, so war die Zahl der Gemeindeältesten und die der Gutsbesitzer gleich. Diese Konvente hatten zu beschließen: über Unterhalt der Kirchspielswege, Anstellung von Kirchspielsärzten, Gründung von Doktoranden und Lazaretten, Einrichtung vom Kirchspielsposten, Kontrolle der statistischen Erhebungen und endlich die Wahl des Kirchspielsvorstehers und seines Substituten. Dieses Amt war ein Ehrenamt, das von den Rittergutsbesitzern oder Arrendatoren bekleidet wurde.

Der Kirchspielsvorsteher hatte die Sachen zur Verhandlung auf dem Konvent vorzubereiten, die Verhandlungen zu leiten und die Beschlüsse auszuführen, die Kirchspielswege zu verwalten, die statistischen Daten einzusammeln und zusammenzustellen. Eine durchgreifende Wirksamkeit dieser Institutionen auf dem Gebiete des Sanitätswesens wurde durch die Reichsgesetzgebung gehindert, da es gesetzlich verboten war, Gemeindeglieder höher als mit 10 Kopeken für Sanitätszwecke zu besteuern und die Gemeinden der Krongüter von der Besteuerung zu Sanitätszwecken befreit waren. Alle Bemühungen um Abänderung dieser Bestimmungen waren vergebens.

Der Kirchspielskonvent konnte Kirchspielsabgaben erheben. Diese bestanden
- in Wege- und Brückenbau in Leistungen für die Bauten und Reparaturen der Kirchen, Pastorale, Küstenate, wobei die Gutsbesitzer das Baumaterial und die baren Ausgaben, die Bauernschaften die Anfuhr der Materialien und die Stellung der Arbeiter haben;
- in Leistungen für den Pastor und den Küster. Diese Leistungen waren alle Reallasten, soweit sie die Bauernschaften betrafen, in der Weise berechnet, dass beim Verkaufe oder der Verpachtung von Bauernland der Wert desselben entsprechend dem Reinertrag, nach Abzug des für den Bauern benötigten Unterhaltes und des zur Entrichtung der sogenannten publiken Abgaben Erforderlichen, bestimmt wurde;
- in Abgaben zum Unterhalt des Arztes der Hebamme und zu Sanitätszwecken.

2. Der Kirchen- und Schulkonvent bestand für jedes Pfarr-Kirchspiel und bestand aus dem Prediger, den Gutsbesitzern und den Arrendatoren der Krongüter und je einem Delegierten der Gemeinden. Diese berieten und beschlossen über alle die evangelisch-lutherische Kirche, die lutherische Volksschule und das Pastorat berührenden wirtschaftlichen und polizeilichen Angelegenheiten, die Bewilligung der notwendigen Mittel, die Wahl des Predigers, wo kein Patronatsrecht bestand, und die Wahl des Kirchenvorstehers und seines Substituten. Für die Kirchspielsbauten geben die Gutsbesitzer das Baumaterial und bestreiten alle baren Ausgaben, die Gemeinden haben die Anfuhr und stellen die Arbeiter, so dass, obwohl auf den Konventen die Gemeindevertreter ebensoviel Stimmen als die Gutsbesitzer haben, die Gemeinden doch weniger belastet sind als diese.

Außerdem bestand eine Kirchspiels-Schulverwaltung, die unter dem Vorsitz des Kirchenvorstehers aus dem örtlichen Prediger, dem Lehrer der Kirchspielsschule und dem Kirchspiels-Schulältesten, der aus den Kirchenvormündern und den Schulältesten des ganzen Pfarrkirchspiels aus ihrer Mitte gewählt wird, besteht. Die Kirchspiels-Schulverwaltung ist die wichtigste unter den Schulbehörden. Während die beiden vorgesetzten Behörden die Oberleitung hatten und wesentlich Aufsichts- und Beschwerdeinstanzen sind, hatte jene die unmittelbare Verwaltung und die Initiative in der Förderung des Schulwesens. Ihre Aufgabe war die Hebung und Beaufsichtigung des häuslichen Unterrichts, die Einrichtung der Schulen auf Anordnung der Kreislandschulbehörde, die Verwaltung derselben, die Inspektion, die Anstellung der Lehrer und die Handhabung der Disziplin über dieselben, inklusive die Absetzung der Gemeinde- und Suspension der Kirchspiels-Schullehrer, unter jährlicher Berichterstattung über die Verwaltung an den Kirchen- und Schulkonvent. Als Inspektoren der Schule fungieren die Prediger und sämtliche Mitglieder der Kirchspiels-Schulverwaltung, speziell der Kirchspielslehrer. Als unmittelbarste Organe der Schulverwaltung sind die Kirchenvormünder und Schulältesten verpflichtet, die Schulen wöchentlich zu besuchen, den Schulbesuch und häuslichen Unterricht zu kontrollieren, die Strafgelder wegen versäumter Schultage von den Eltern und Erziehern lässiger Kinder einzukassieren oder durch den Gemeindeältesten beitreiben zu lassen, endlich dafür zu sorgen, dass der Unterhalt des Schullehrers und des Schulhauses geleistet werde.
Der Volksschulunterricht ist von der lutherischen Landeskirche ausgegangen und von der Ritterschaft unter Mitwirkung der Prediger organisiert worden. Der Zweck des Volksunterrichts war die Vorbildung zum Konfirmationsunterricht und zum Eintritt in das Gemeindeleben. Der Volksunterricht hat drei Stufen. Die erste Stufe bildet der obligatorische häusliche Unterricht in der Gemeindeschule. Nach dem Gesetz sollte auf je 500 Seelen eine Schule bestehen; 1882 bestand auf 327 Seelen eine Schule. Diese beiden Stufen nebst dem Repetitionskursus für die Zeit von der Absolvierung der Gemeindeschule bis zur Konfirmation werden, vermöge des gesetzlichen Schulzwanges (der nur in Livland und den weiteren russischen Ostseegouvernements besteht), durch fast alle Bauern beschritten,
während am Unterricht in der Schule höherer Ordnung, der Kirchspiel-Schule, nur eine verhältnismäßig geringe Zahl Teil nahmen: diejenigen, die ein größeres Bildungsbedürfnis haben
und meist solche, welche sich zum Eintritt in mittlere und höhere Schulen vorbereiten wollen: die Kirchspielschule ist eben eine Fortbildungsschule. In jedem Kirchspiele besteht wenigstens eine solche Kirchspielschule.

3. Die Landgemeinde bestand aufgrund der Landgemeindeordnung vom 19. Februar 1866, die durch Gesetz des Landtages von Livland erlassen wurde, hatte die Bauerngemeinden in Livland für mündig erklärt und denselben eine große Selbstständigkeit und umfassende Selbstverwaltungsbefugnisse zugesprochen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Bauerngemeinden einem Rittergut zugeordnet.

Die Landgemeinde wurde gebildet von allen in den Gemeindeverband aufgenommenen Personen, gewöhnlich eines Gutes; es konnte aber auch eine Gemeinde aus Bewohnern mehrerer Güter gebildet werden.

Die eigentliche Gemeindeverwaltung wurde gebildet aus:
a. die Gemeindeversammlung, welche aus allen Grundeigentümern und Pächtern von Bauernhöfen und aus den Delegierten der bäuerlichen und der Gutsknechte und sonstiger selbstständiger, nicht ansässiger Gemeindeglieder. Die Gemeindeversammlung hatte:
- die Mitglieder des Gemeindeausschusses zu wählen,
- über den Ausschluss lasterhafter Gemeindeglieder zu entscheiden.
Die Grundeigentümer, Pächter, Hofes- und Bauernknechte hielten außerdem nach Bedürfnis ihrer Sonderversammlungen zur Beratung ihrer Interessen, sowie letztere zur Wahl der Delegierten, je 1 auf 10 Personen. Nicht berechtigt waren Personen, welche sich in Untersuchung befanden und solche, welche Armenunterstützung von der Gemeinde erhielten.
b. der Gemeindeausschuss beschloss in allen ökonomischen Gemeindeangelegenheiten und hatte die Interessen der Gemeinde wahrzunehmen, verfügte über Gemeindekapitalien und Gemeindeeigentum. Er bestand unter dem Vorsitz des Gemeindeältesten aus 8 bis 24 Mitgliedern, welche von der Gemeindeversammlung auf drei Jahre gewählt wurden, zu gleichen Teilen aus Bauern und Delegierten der Knechte. Jährlich wurde die Hälfte neu gewählt. Dem Ausschuss legten der Älteste und die Vorsteher jährlich Rechenschaft ab über ihre Verwaltung. Die Beschlüsse wurden der Gutspolizei mitgeteilt. Beschwerden über Beschlüsse der Gemeindeversammlungen und -Ausschüsse gingen an das Kirchspielsgericht und von da an das Kreisgericht.
c. der Gemeindeälteste war Vertreter der Gemeinde; er berief und leitete die Gemeindeversammlung und den Ausschuss, er führte die Beschlüsse derselben aus, er beaufsichtigte die Kasse und alle Anstalten. Ihm zu Hilfe konnten bis zu vier Vorsteher gewählt werden. Der Älteste und die Vorsteher wurden aus den Grundeigentümern oder Pächtern gewählt und wurden besoldet. Der Älteste handhabte innerhalb des Gemeindelandes die Sicherheitspolizei nach einem Reichsgesetz. Wegen Ungehorsams gegen seine Anordnungen konnte er auf 1 Rubel Geldstrafe oder 2 Tage Arrest erkennen, alle anderen Sachen übergab er zur Bestrafung dem Gemeindegericht. Seine Autorität erstreckte sich auf steuerpflichtige Personen und verabschiedete Soldaten.
d. das Gemeindegericht war in das System der ordentlichen Gerichte eingefügt (siehe weiter oben).

Die Erhebung der Gemeindesteuern war Sache des Gemeindeausschusses; dieser bestimmte über die Höhe der Gemeindeabgaben und den Erhebungsmodus. Die Gemeindesteuern unterlagen der Repartition nach männlichen Seelen.
Durch Gemeindeabgaben wurden bestritten: die Besoldung der Gemeindebeamten und die sonstigen Kosten der Gemeindeverwaltung, Unterhalt der Gemeindeschule, Armenpflege, Gemeindebauten, Unterhalt der Gemeindegebäude und Versicherung gegen Feuersgefahr.

Als landesweite Steuern wurden Landesprästanden (darunter versteht man Spezialsteuern und Leistungen, die auf Anordnung der Staatsgewalt für Landes- und Staatszwecke von der örtlichen Bevölkerung zu leisten sind, also faktisch Frondienste) erhoben. Die Naturalleistungen wurden von den Inhabern der Bauerngrundstücke geleistet, und es galt das von den Kirchspielsabgaben betreffs ihrer Berechnung bei der Verpachtung Gesagte auch hier. Die in Geld zu leistenden Prästanden durfte der Gutsbesitzer nicht den Pächtern auferlegen, sondern musste sie selbst tragen; erst beim Verkauf eines Bauernhofes gingen dieselben auf den neuen Eigentümer über.

Die Verteilung, Erhebung und Verwaltung der Landesprästanden wurde durch den Landrat bewerkstelligt. Derselbe fertigte das Budget an und übersandte es der Domänenverwaltung; nach deren Zustimmung in Bezug auf die Krongüter wurde das Budget vom Gouverneur bestätigt und publiziert.

Die Prästanden waren entweder in natura oder in Geld zu leisten. In Natur sind zu leisten: Bau und Unterhalt der Poststationen, der Wege, Unterhalt der Etappen (Unterhalt der Häuser), Stellung der Fuhren und Wächter, Stellung der sog. Schießpferde auf solchen Wegen, wo keine Stationen bestehen, Stellung von Pferden für Amtsfahrten verschiedener Beamten. Die Schießstellung wurde in der Weise rechtmäßig verteilt, dass der Gemeinde, welche die Pferde gestellt hatte, 4 Kopeken pro Pferd und Werst vergütet und diese Beträge gleichmäßig auf alle Gemeinden verteilt wurden.

Die in Geld abzuleistenden Prästanden waren
- der Unterhalt der Ordnungsrechte und Polizeiausgaben,
- Militärfuhren, Unterhalt der Gefängnisse und Etappenlokale in den Kreisstädten,
- Unterhalt der Kreiswehrpflichtskommissionen, der Gouvernements-Statistischen-Komitees, der Kreis-Sanitäts-Komitees,
- Ausgaben für Gesundheitspflege, Entschädigung für getötetes Vieh,
- Unterstützung der Familien im letzten Türkenkriege umgekommener oder verschollener Reservisten,
- Abzahlung der Chausseeanleihen und Unterhalt der Chausseen.

Die in Geld zu leistenden Prästanden wurden bloß von den Gütern gezahlt noch dem geschätzten Werte des Bauernlandes, die Bauern-Grundeigentümer mussten die betreffende Quote selbst zahlen, jedoch durch Vermittlung des Gutsbesitzers.

Der Unterhalt der Kirchspielsgerichte wurde zur Hälfte von den Gütern nach der Einschätzung, zur Hälfte von der Bauernschaft nach Köpfen verteilt getragen.

Als weitere landesweite Steuer war die ritterschaftliche Willigung eingeführt. Sie wurde von den Gütern und vom Hofesland getragen. Von denselben wurden bestritten: Die Kosten der Ritterschaftsrepräsentation, Ausgaben für die lutherische Kirche, die Landesgymnasien und das Polytechnikum, für Volksschulen und Taubstummenanstalten, Pensionen, Hospitäler, Rettungsanstalten, Gehaltszahlungen für das Hofgericht, Konsistorium, Oberkirchenvorsteher-Ämter, Land- und Kirchspielgerichte; Ausgaben für das Postwesen, Pferdezucht, Volkszählung, Archivstudien. Die ritterschaftlichen Willigungen kamen im wesentlichen dem allgemeinen Interesse zu Gute.

Für die 11 Städte des Landes (Riga (mit der Festung Dünamünde), Wenden, Dorpat, Pernau, Schlock, Wolmar, Lemsal, Fellin, Walk, Werro und Arensburg (Ösel)) bestand je für sich, eine gesonderte Städteverwaltung.

Die Stadtverwaltungen in Livland sind historisch gewordene mit vielen Besonderheiten und Eigentümlichkeiten, welche gesetzgeberisch weder ausgeglichen noch ausgestaltet wurden.

Jede Stadtverwaltung bestand aus dem Rat und der Bürgerschaft; diese hatten die Vertretung und Verwaltung der Stadt, eine Selbstverwaltung im ausgedehnten Sinne: Justiz, Polizei im weitesten Sinne, Kirchenwesen, Schulwesen, Armenwesen, Gesundheitspflege, städtischen Haushalt und Steuerwesen. Diesen Aufgaben entsprach einem System von Behörden, gebildet aus Rat und Bürgerschaft, und basiert auf dem Grundgedanken, dass die Selbstverwaltung in Bezug auf die obrigkeitliche Gewalt in die Hände des Rates und in Bezug auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten in die Hände des Rates und der Bürgerschaft gelegt wurde. Daher waren alle Behörden, welche eine obrigkeitliche Gewalt ausübten, gebildet aus Delegationen des Rates, diejenigen hingegen, welche Verwaltungssachen im allgemeinen und besonders wirtschaftlichen Charakters zu besorgen hatten, aus Delegationen des Rates und der beiden Gilden gebildet wurden.

Der Rat hatte eine doppelte Stellung, einmal als erste der städtischen Korporationen, zweitens als Träger der obrigkeitlichen Gewalt in der Stadt. Als Korporation steht ihm das Selbstergänzungsrecht zu, aus Juristen und Mitgliedern der großen Gilde, der Korporation der Kaufleute. Die obrigkeitliche Gewalt in der Stadt wird vom Rat ausgeübt, entweder in seinem Plenum als Magistrat oder von Niedergerichten, welche aus Delegationen des Rates gebildet werden. In Tallinn sind diese Niedergerichte in größerer Zahl vorhanden und bilden Gerichte erster Instanz, der Rat als Magistrat bildet die zweite Instanz und steht unter der Appellation an die alten Senatsdepartements; in den anderen livländischen Städte bildeten der Rat als Magistrat das Gericht erster Instanz und stehen unter der Appellation an die Landesgerichte zweiter Instanz, die dritte Instanz bilden die alten Senatsdepartements. Die tatsächlich die erste Instanz bildenden Niedergerichte wurden in diesen Städten als eine Art Vor-Instanz angesehen.

Die Polizei wurde gleichfalls durch eine Delegation des Rates gehandhabt, jedoch war in Riga und Dorpat schon durch die Ernennung eines Polizeimeisters vom Staate und direkte Unterstellung desselben unter die Gouvernementsregierung die Polizei tatsächlich eine dem Magistrat nebengeordnete Behörde und jetzt durch das Gesetz vom 9. Juli 1888 eine bürokratisch organisierte Staatsbehörde geworden, wobei in Riga und Dorpat eine von der Kreispolizei getrennte Polizeiverwaltung hatten, die anderen Städte die Polizei von den Kreispolizeibehörden gehandhabt wurden.

In Riga ist die obrigkeitliche Gewalt des Rates am schärfsten ausgeprägt gewesen, indem auch die geistlichen und kirchlichen Angelegenheiten durch ein aus Gliedern des Rates und der Geistlichkeit gebildetes Stadtkonsistorium verwaltet wurden, welches dem Landeskonsistorium nebengeordnet war. In den anderen Städten war der Rat der Patron der städtischen Kirchen und übte das Patronatsrecht und die Verwaltung des Kirchenvermögens mit den Gilden aus.

Die Bürgerschaft bestand aus Personen, welche vom Rat in die Bürgerschaft aufgenommen wurden. Die große Gilde umfasste die Kaufleute und Literaten, die kleine Gilde die Handwerker. Beide hatten das Selbstergänzungsrecht.

Seit dem Jahr 1877 wurde die neue russische Städteordnung auch in den livländischen Städten eingeführt und deshalb bestand seit dieser Zeit auch eine Stadtverordnetenversammlung, die für die allgemeine Stadtverwaltung zuständig war. Rat und Bürgerschaft blieben nur noch für die Verwaltung der, den Städten gehörenden Stiftungen zuständig.

Die Bevölkerung Livlands umfasste im Jahr 1858 884.000 Personen, die zu 11/12tel auf dem Lande lebten. Der größte Teil der Bevölkerung im nördlichen Teil waren Esten (meist Bauern), die im südlichen Teil waren Letten (auch meist Bauern), die Oberschicht wurden "Livländer" genannt und sprachen einen deutschen Dialekt. Deutsch war die Gesetzes- und Bildungssprache in Livland; erst durch die Russifizierung ab 1870 kam es zur Einführung von Russisch als Amtssprache. Gepredigt wurde in Deutsch, auf dem Lande auch in Estnisch und Lettisch. Die Rittergüter mit Landtagsstimmrecht waren zumeist Livländer, so dass Landtagssprache in Livland Deutsch war. Die Hauptstadt Riga hatte im Jahr 1861 fast 74.000 Einwohner, "größtentheils evangelisch-lutherische Deutsche".

 


Quellen: Engelmann: Das Staatsrecht des Russischen Reiches, Freiburg 1889
© 22. Juni 2007 - 27. Juni 2007


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