Politisches System von Andorra

 

von 778 bis 1993

 

am 4. Mai 1993 durch die Verfassung des Fürstentums von Andorra

und die Freundschaftsverträge mit Frankreich und Spanien vom 3. Juni 1993 weggefallen

 

Andorra war bis 1993 ein Lehnsstaat mit zwei gleichberechtigten Lehnsherren und damit kein Völkerrechtssubjekt im Sinne des modernen Völkerrechts. Erst durch die "Staatsreform" mit der Verfassung von 1993 schuf den souveränen Staat "Fürstentum von Andorra", der Mitglied der UN werden konnte. Diesem System ähnlich bzw. gleich sind das Königreich (Insel) Man und die Kanalinseln, die zwar allgemein als "zu Großbritannien gehörend" bezeichnet werden, aber nur dadurch mit diesem Staat verbunden sind, weil der König von Großbritannien gleichzeitig Lehnsherr von Man und den Kanalinseln ist.

 

Das noch 1927 als "Freistaat", also Republik bezeichnete Andorra soll nach der Geschichtsschreibung im Jahre 778 von Karl dem Großen für die Unterstützung in seinem Feldzug gegen die Mauren mit den bekannten sieben Tälern in den Pyrenäen, die auch heute noch Andorra bilden, belehnt worden sein. Im Jahre 805 soll dieser Freibrief von Ludwig dem Frommen erneuert worden sein. Nach dem Zerfall des Fränkischen Reiches und Jahrhunderte dauernden Streitigkeiten zwischen den Nachbarn Andorras um die Lehnsherrschaft kam es erst im Jahre 1278 zwischen dem Grafen von Foix (dessen Gebiet zwischen Frankreich und Aragonien strittig war, und beide die Oberlehnsherrschaft beanspruchten) und dem Bischof von Urgel (dessen Diözese in Aragonien lag) zu dem Übereinkommen von Paréage, der erst durch die Verfassung von 1993 grundlegend reformiert wurde.

 

Das Übereinkommen von Paréage von 1278 schuf folgendes politisches System:

 

- die beiden Lehnsherren, die Grafen von Foix (ab 1512 die Könige von Navarra, ab 1607 die Könige bzw. Staatsoberhäupter von Frankreich) und der Bischof von Urgel sind gleichberechtigt und entsenden jeweils einen Landvogt (Viguier de France, Viguer episcopal), und zwar muß der Landvogt des Bischofs von Urgel stets ein Landesangehöriger sein und darf höchstens drei aufeinander folgende Jahre berufen werden. Der Viguier de France ist ab ca. 1800 der Präfekt des Departements Pyrenées-Orientales.

 

- die Regierung liegt in den Händen eines souveränen Rates (Generalrat), der aus 24 Mitgliedern mit dem Titel "Konsul" besteht, wovon 12 Konsuln, darunter der Präsident des Generalrats (Syndikus, Generalprokurator) die laufenden Geschäfte besorgen. Der Generalrat hält fünf Plenarsitzungen im Jahr ab und ergänzt sich selbst durch die, von den 6 Gemeinden (Kirchenspielen) in Vorschlag gebracht werden. Jede Gemeinde ist durch 4 Konsuln, darunter der Bürgermeister und sein Gehilfe (Stellvertretender Bürgermeister) vertreten.

    Nach 1882 (?) wurden die Mitglieder auf 4 Jahre von den wahlberechtigten Familienoberhäuptern gewählt (1982: 625), und zwar getrennt nach den 6 Gemeinden je 4 Konsuln und der Präsident des Generalrats wurde gemeinsam mit seinem Stellvertreter (Vizesyndikus) mit den laufenden Geschäften betraut und auf 4 Jahre vom Generalrat gewählt.

 

- die beiden Landvögte bilden, gemeinsam mit zwei, von ihnen auf Vorschlag des Generalrates berufenen Richtern, das Zivilgericht, deren Urteile der Appellation unterliegen. Diese Appellation erfolgt an den Oberrichter von Andorra, der von den beiden Lehnsherrn abwechselnd auf Lebenszeit ernannt werden. Das Strafgericht, gegen dessen Urteile keine Appellation stattfinden kann, also letztinstanzlich sind, wird gebildet durch die obersten Beamten Andorras und dessen Präsident ist der Viguier de France. Die Verteidigungsrechte des Angeklagten werden geachtet. Der Rechtsprechung liegt das Gewohnheitsrecht zugrunde, das erstmals 1748, dann 1846 aufgezeichnet wurde.

 

- die Gemeindeverfassung ist eine militärische, denn jeder Mann von 16. bis 60. Lebensjahr ist militärpflichtig und daher bewaffnet. Jede Gemeinde hat neben dem Bürgermeister und seinem Gehilfen einen Hauptmann und zwei Leutnants.

 

- zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung und des Friedens können die Landvögte zu den Waffen rufen, nie aber zum Angriff, denn über diesen hat allein das Volk zu entscheiden. Sobald aber die Familienoberhäupter mehrheitlich für einen Angriff gestimmt haben, sind alle Familienoberhäupter gemeinsam mit ihren bewaffneten Söhnen, Verwandten und Knechten verpflichtet, vor den Landvögten zu erscheinen.

 

- Der Tribut Andorras an seine Lehnsherren betrug (1927) 960 Franc an den Präsidenten von Frankreich in Jahren mit gerader Jahreszahl und 460 Franc an den Bischof von Urgel in Jahren mit ungerader Jahreszahl. Der Treueeid ist alle zwei Jahre von 3 Mitgliedern des Generalrats vor den Landvögten zu erneuern.

 

- die Pfarrer der sechs Kirchenspiele (Pfarreien und staatl. Gemeinden) werden vier Monate lang vom Bischof von Urgel und 8 Monate lang vom Papst besetzt. Der Bischof von Urgel übt die kirchliche Oberherrschaft aus; das Gebiet Andorras gehört zur Diözese von Urgel.

 


Quellen: Meyers neues Konversations-Lexikon, 2. Aufl. 1869
Langhans-Ratzeburg, Die Verfassungen des Erdballs, 1927
© 14. Oktober 2003


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