Gesetz des Italienischen Staates über die Vorrechte des Papstes und des Heiligen Stuhls und über das Verhältnis des Staates zur Kirche
(Garantiegesetz)

16. Februar 1871

aufgehoben durch
Art. 26 (III) des Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Italien vom 11. Februar 1929 (Lateranvertrag)

 

Viktor Emanuel,
von Gottes Gnaden und gemäß dem Willen der Nation, König von Italien.

Der Senat und die Kammer der Deputierten hat angenommen,

und Wir sanktioniert und promulgieren was folgt:

Titel I.

Art. 1. Die Person des Papstes ist heilig und unverletzbar.

Art. 2. Angriffe gegen die Person des Papstes und Aufreizungen, dieselben zu begehen, werden wie die Angriffe gegen die Person des Königs bestraft. Die Beleidigungen und öffentlichen Beschimpfungen gegen die Person des Papstes in Reden, Thaten und durch die im Art. 1 des Preßgesetzes angegebenen Mittel werden gemäß Art. 19 desselben Gesetzes bestraft. Die genannten Verbrechen werden vor dem Assisenhof verhandelt werden. Die liberalen Erörterungen der religiösen Fragen sind vollkommen frei.

Art. 3. Die italienische Regierung bestätigt dem heiligen Vater königliche Würfen im Reich, und läßt denselben den Vorrang beibehalten, welchen ihm die katholischen Souveräne zuerkennen. Der Papst hat das Recht, die gewöhnliche Schweizergarde und Nobelgarde, welche bisher seiner Person und der Bewachung der Paläste zugewesen war, beizubehalten, ohne Präjudiz für de Pflichten und Schuldigkeiten solcher Garden, welche aus den Gesetzen des Königreiches hervorgeht.

Art. 4. Dem heiligen Stuhl ist eine Dotation von 3.225.000 Fr. jährlicher Rente bewilligt. Mit dieser Summe, die so viel wie diejenige beträgt, welche im römischen Budget unter dem Titel "Heilige apostolische Paläste, heiliges Kollegium, geistliche Versammlungen, Kanzlei des Staats und diplomatischer Dienst im Auslande" steht, wird beabsichtigt für die geistlichen Bedürfnisse des heiligen Stuhles zu sorgen, die Ausgaben der Instandhaltung und der Aufsicht der apostolischen Paläste und ihrer Dependentien, den Sold und die Pensionen der päpstlichen Garde und Beamten des päpstlichen Hofs und eventuelle Kosten, wie auch die ordentliche Unterhaltung der dazu gehörigen Museen und der Bibliothek, und die Besoldung und Pension der dabei Angestellten zudecken. Diese Dotation wird als immerwährende Rente auf den Namen des heiligen Stuhls in das große Buch der öffentlichen Staatsschuld eingeschrieben werden; während der Vakanz des Stuhls wird die Summe auch in dieser Zwischenzeit für die Bedürfnisse der römischen Kirche ausgezahlt werden. Dieselbe ist dabei von allen staatlichen, kommunalen und provinziellen Steuern und Lasten befreit und kann nicht vermindert werden, auch wenn die italienische Regierung später die Aufsicht und die Instandhaltung der Museen und Bibliotheken übernehmen würde.

Art. 5. Der heilige Vater wird, außer der Dotation, die ihm im vorigen Artikel zuerteilt wird, auch den Vatikan, den Lateran und die Gebäude, Gärten und Güter, welche diesen zwei Palästen angehören, sowie das Castel Gandolfo mit allem Zubehör und Dependentien behalten. Die genannten Paläste u. s. w. sind von jeglicher Steuer frei und können wegen öffentlichen Nutzens nicht expropriiert werden. Die Museen, die Bibliothek und sämtliche Kunstgegenstände in den Gebäuden des Vatikans sind nationales Eigentum. Der Zutritt des Publikums zu den vorgenannten Lokalen wird von dem kompetenten Ministerium geregelt werden.

Art. 6. Wenn der heilige Stuhl vakant sein wird, werden weder gerichtliche noch politische Behörden die persönliche Freiheit der Kardinäle wegen irgendwelcher Ursache hindern oder beschränken können. Die Regierung wird Maßregeln treffen, damit die Versammlungen des Konklaves und der ökumenischen Konzilien nicht gestört werden.

Art. 7. Kein Beamter der öffentlichen Autorität oder Agent der öffentlichen Macht kann in die Paläste, in welchen der Papst wohnt, oder die er zeitweilig bewohnt, oder in denen das Konklave oder das ökumenische Konzil versammelt ist, eindringen um eine Amtshandlung auszuüben, wenn sie nicht vom Papst, vom Konklave oder vom Konzil dazu berechtigt wurden.

Art. 8. Die Beschlagnahme und die Untersuchungen der Papiere, Dokumente, Bücher und Register der päpstlichen Bureaux und Versammlungen, die rein geistlicher Beschaffenheit sind, ist durchaus verboten.

Art. 9. Der Papst hat die vollen Freiheit, die sämtlichen Funktionen seines geistlichen Amtes zu erfüllen und an den Türen der Basiliken und Kirchen Roms alle Akte des genannten Amtes anzuschlagen oder anderweitig zu veröffentlichen.

Art. 10. Die Geistlichen, welche von Amtswegen in Rom an der Ausübung des geistlichen Ministeriums des heiligen Stuhles teilnehmen, sind wegen dieser von seiten der Behörden keinen Untersuchungen und Nachforschungen unterworfen und brauchen keine Rechenschaft darüber abzulegen. Jede fremde Person, die in Rom in ein geistliches Amt eingesetzt ist, genießt die persönlichen Garantieen der italienischen Bürger gemäß den Landesgesetzen.

Art. 11. Die Gesandten der auswärtigen Regierungen bei St. Heiligkeit genießen im Lande das Vorrecht und die Immunität der diplomatischen Agenten, dem internationalen Recht gemäß. Auf Beleidigungen gegen sie werden die Strafbestimmungen für Beleidigungen gegen die Gesandten fremder Mächte bei der italienischen Regierung angewandt. Den gesandten St. Heiligkeit bei den fremden Regierungen wird beim Gehen und Rückkehren nach und von ihren Missionen dieselbe Prärogative und Immunität nach demselben Recht zugesichert.

Art. 12. Der Papst korrespondiert frei und mit Episkopat und mit der ganzen katholischen Welt ohne irgendeine Einmischung der italienischen Regierung. Zu diesem Ende wird ihm das Recht erteilt, ein Post- und Telegraphenbureau zu errichten, das von Beamten seiner Wahl bedient wird. Das päpstliche Postebureau kann den ausländischen Postverwaltungen seine bureau schicken. In beiden Fällen werden Briefe und Telegramme, welche die päpstliche Marke tragen, im italienischen Territorium von allen Taxen und Spesenfrei sein. Die vom heiligen Vater ausgesandten Kuriere sind im ganzen Königreich den Kurieren der auswärtigen Mächte gelichgestellt. DAs päpstliche Postbureau wird auf Kosten des Staats mit dem italienischen Telegraphenbureau verbunden werden. Die Telegramme, die mit einer offiziellen Bezeichnung als päpstliche versehen sind, werden das Vorrecht der Staatstelegramme haben und von aller Taxe im Königreiche frei sein. Auch die Telegramme des heiligen Vaters, sowie die, welche mit dem päpstlichen Stempel versehen sein werden, erhalten jenen Vorteil. Die an den heiligen Vater adressierten Depeschen sind für die Absender kostenfrei.

Art. 13. In der Stadt Rom werden die Seminarien, Akademieen, Kollegien und katholischen Schulen, denen die Erziehung der Geistlichen obliegt, fernerhin allein von dem heiligen Stuhl abhangen, ohne jeglichen Einmischung von seiten der italienischen Regierung.

Titel II. Über das Verhältnis des Staates zur Kirche.

Art. 14. Jede besondere Einschränkung des Versammlungsrechtes des katholischen Klerus wird abgeschafft.

Art. 15. Die Regierung verzichtet auf das Recht der apostolischen Legation in Sizilien und ebenso im ganzen Königreiche auf das Recht der Ernennung und des Vorschlags bezüglich der Verleihung der beneficia maiora. Die Bischöfe werden dem Könige keinen Eidschwur zu leisten haben. Die beneficia maiora wie die minora können nur an Bürger des Königreiches verliehen werden, außer in der Stadt Rom und den suburbicanischen Sitzen. Bezüglich der Verleihung der königlichen Patronatsbenefizien tritt keine Änderung ein.

Art. 16. Es werden abgeschafft das Exequatur, das königliche Placet und jede andere Form der Zustimmung von Seite der Regierung zur Veröffentlichung und Ausführung der Anordnungen der Kirchengewalt. Doch bis zu der Zeit, wo nicht in anderer Weise durch ein spezielles Gesetz, wovon im Art. 18 gesprochen wird, eine Vorsorge getroffen ist, bleiben dem Exequatur und dem königlichen Placet unterworfen: die Anordnungen der Kirchengewalt, welche sich beziehen auf die Verwendung der kirchlichen Güter oder auf die Verwaltung der größeren und kleineren Benefizien, mit Ausnahme jener in der Stadt Rom und den suburbicanischen Sitzen. Es bleiben aber aufrecht die Bestimmungen der Zivilgesetze in Bezug auf die Begründung und die Einrichtung der kirchlichen Institute und die Veräußerung ihrer Güter.

Art. 17. In geistlichen und disziplinaren Angelegenheiten ist eine Appellbeschwerde gegen die Anordnungen der Kirchengewalt nicht zulässig, und es ist jede Zwangsausführung derselben weder zulässig noch gestattet. Die Entscheidung über die juristischen Folgen sowohl dieser als auch aller anderen Anordnungen der Kirchengewalt steht der Ziviljurisdiktion uz. Solche Anordnungen aber haben keine Wirkung, wenn dieselben den Staatsgesetzen oder der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufen, oder wenn sie die Rechte eines Privaten schädigen und unter die Strafgesetze fallen, vorausgesetzt, daß dadurch ein Schaden begründet wird.

Art. 18. Durch ein späteres Gesetz wird Vorsorge getroffen werden für die Ordnung, Erhaltung und Verwaltung des kirchlichen Vermögens im Königreiche.

Art. 19. In allen Gegenständen, auf welche sich das gegenwärtige Gesetz bezieht, tritt jede bestehende anderweitige Bestimmung außer Kraft, insofern sie dem vorliegenden Gesetz widerspricht.

    Wir verordnen, daß das vorliegende Gesetz mit dem Staatssiegel versehen, eingereicht werde in die offizielle Sammlung der Gesetze und Dekrete des Königreichs Italien, indem wir einem jeden, den es angeht, befehlen, dasselbe zu befolgen und für die Befolgung desselben durch ein Staatsgesetz Sorge zu tragen.

    Turin, den 13. Mai 1871.

Viktor Emanuel.


Quellen Moldenhauer, Auswahl wichtiger Aktenstücke zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Seehagen Berlin 1893
© 26. Oktober 2006


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