Verfassung Polens

 

(USTAWA RZĄDOWA = "Gesetz über die Regierung")

 

vom 3. Mai 1791

 

aufgehoben durch Beschluß des polnischen Reichstags zu Grodno am 29. September 1792

 

Im Namen Gottes des Allmächtigen!

 

Stanislaus August, von Gottes Gnaden und kraft des Willens der Nation König von Polen, Großherzog von Litauen, Reußen, Preußen, Masowien, Samogitien, Kiew, Wolhynien, Podolien, Livland, Smolensk, Sewerien und Czernigow, gemeinschaftlich mit den konföderierten Ständen, die in gedoppelter Zahl versammelt sind, die polnische Nation zu repräsentieren.

 

Da Wir überzeugt sind, daß unser aller gemeinschaftliches Schicksal einzig und allein von der Gründung und Vervollkommnung der Nationalverfassung abhängt, und durch eine lange Erfahrung die verjährten Fehler unserer Regierungsverfassung kennen gelernt haben; da wir die Lage, worin sich Europa befindet, und den zu Ende eilenden Augenblick, der uns wieder zu uns selbst gebracht hat, zu benutzen wünschen; da wir frei von den schändenden Befehlen auswärtiger Übermacht, die äußere Unabhängigkeit und innere Freiheit der Nation, deren Schicksal unsern Händen anvertrat ist, höher schätzen, als unser Leben und unsere persönliche Glückseligkeit; da wir uns zu gleicher Zeit auch die Segnungen, und die Dankbarkeit unserer Zeitgenossen und der künftigen Geschlechter zu verdienen wünschen; so beschließen wir, ungeachtet der Hindernisse, welche bei uns selbst Leidenschaft entgegen stellen könnte, der allgemeinen Wohlfahrt wegen, zur Gründung der Freiheit, zur Erhaltung unsers Vaterlandes und seiner Grenzen, mit der festesten Entschlossenheit unsers Geistes gegenwärtige Verfassung, und erklären sie durchaus für heilig und unverletzbar, bis die Nation in der gesetzlich vorgeschriebenen Zeit, durch ihre ausdrückliche Willenserklärung, die Abänderung dieses oder jenes Artikels für nothwendig erachten wird. Eben dieser Verfassung sollen auch alle fernere Beschlüsses des jetzigen Reichstages in jeder Rücksicht angemessen seyn.

 

I. Herrschende Religion.

 

Die Herrschende Nationalreligion ist und bleibt der heilige römisch-katholische Glaube mit allen seinen Rechten, Der Übergang von dem herrschenden Glauben zu irgend einer andern Confession wird bei den Strafen der Apostasie untersagt. Da uns aber eben dieser heilige Glaube befiehlt, unsern Nächsten zu lieben; so sind wir deshalb schuldig, allen Leuten, von welchem Bekenntnisse sie immer auch seyn mögen, Ruhe in ihrem Glauben und den Schutz der Regierung angedeihen zu lassen. Deshalb sichern wir hiemit, unsern Landesbeschlüssen gemäß, die Freiheit aller religiösen Gebräuche und Bekenntnisse in den polnischen Landen.

 

II. Edelleute, Landade.

 

Mit Hochachtung des Andenkens unsrer Vorfahren, der Stifter unsers freien Staats, sichern wir dem Adelstande auf feierlichste alle seine Gerechtsame, Freiheiten und Prärogativen, und den Vorrang im Privatleben und öffentlichen Leben. Insonderheit aber bestätigen und bekräftigen wir, und erklären für unverletzbar, die diesem Stande von Casimir dem Großen, Ludwig von Ungarn, Wadislaus Jagiello, und dessen Bruder Wittold, Großherzog von Litthauen, wie auch von den Jagiellonen Wladislaus und Casimir, von den Gebrüdern Johann Albrecht, Alexander und Sigismund I., von Sigismund August, dem letzten von der jagiellonischen Linie, rechtmäßig und gesetzlich ertheilten Rechte, Statuten und Privilegien. Die Würde des Adelstandes in Polen erklären wir für völlig gleich mit allen den verschiedenen Graden des Adels, die nur irgendwo gebräuchlich sind. Wir erkennen die Edelleute unter sich für gleich, und zwar nicht bloß in Rücksicht der Bewerbung um Ämter und Verwaltung solcher Dienste im Vaterlande, die Ehre, Ruhm und Vortheil bringen, sondern auch in Rücksicht des gleichen Genusses der Privilegien und Prärogativen des Adelstandes. Mehr als alles aber wollen wir die Rechte der persönlichen Sicherheit und Freiheit, des beweglichen und unbeweglichen Eigenthums, eben so heilig und unverletzlich, als sie seit Jahrhunderten einem zu statten gekommen, bewahrt und beibehalten haben, und verbürgen uns auf das feierlichste, daß wir keine Veränderung noch Ausnahme im Gesetze gegen das Eigenthum irgend Jemandes gestatten wollen: ja die höchste Landesgewalt soll sich unter Vorschützung der jurium regalium, oder irgend einem andern Vorwande, auch nicht die allergeringsten Ansprüche auf das Eigenthum der Bürger, weder im Ganzen noch theilweise erlauben. Daher verehren, verbürgen und bestätigen wir die persönliche Sicherheit und alles irgend Jemandem rechtmäßig zukommende Eigenthum, als das wahrhafte Band der Gesellschaft, als den Augapfel der bürgerlichen Freiheit, und wollen sie auch als solche für die künftigen Zeiten verehrt, verwahrt und unverletzt erhalten haben.

 

Den Adel erkennen wir für die erste Stütze der Freiheit und der gegenwärtigen Verfassung. Die Heiligkeit dieser Verfassung empfehlen wir der Verehrung jedes rechtschaffenen, patriotischen, ehrliebenden Edelmannes, und ihre Dauer seiner Wachsamkeit. Sie ist je der einzige Schutz unsers vaterlandes und unsrer Freiheiten !

 

III. Städte und Städter.

 

Das auf diesem Reichstage unter dem Titel: Unsere freien königlichen Städte in den Staaten der Republik gegebene Gesetz, wollen wir nach seinem ganzen Inbegriffe bestätigt wissen, und erklären es, da es ein Gesetz ist, welches dem freien polnischen Adel zur Sicherheit seiner Freiheiten, und Erhaltung des gemeinschaftlichen Vaterlandes eine neue, zuverlässige und wirksame Macht und Hülfe giebt, für einen Theil der gegenwärtigen Verfassung.

 

IV. Bauern, Landleute.

 

Das Landvolk, unter dessen Händern die fruchtbarste Quelle der Reichthümer des Landes hervorfließt, das den zahlreichsten Theil der Nation ausmacht, und folglich der mächtigste Schutz für das Land ist, nehmen wir sowohl aus Gerechtigkeit und Christenpflicht, als auch um unsers eigenen wohlverstandenen Interesse willen, unter den Schutz des Gesetzes und der Landesregierung, und beschließen: daß von jetzt an alle die Freiheiten, Concessionen oder Verabredungen, die die Gutsbesitzer mit den Bauern auf ihren Gütern authentisch werden eingegangen seyn, diese Freiheiten, Concessionen und Verabredungen mögen nun den Gemeinden, oder jedem Einwohner des Dorfes besonders zugestanden seyn, gemeinschaftliche und wechselseitige Verbindlichkeit auflegen sollen, nach der wahren Bedeutung der Bedingnißarbeit, und des in solchen Concessionen und Verabredungen enthaltenen, unter den Schutz der Landesregierung fallenden Inhalts. Solche von einem Grundeigenthümer freiwillig übernommene Vergleiche mit den daraus fließenden Verbindlichkeiten, werden nicht bloß ihn selbst, sondern auch seine Nachfolger oder Rechtserben so verbinden, daß sie niemals im Stande seyn werden, sie willkührlich zu verändern. Dagegen aber sollen sich auch die Bauern, sie mögen Güter haben wie sie wollen, den freiwilligen Verabredungen, übernommenen Concessionen und damit verbundenen Schuldigkeiten nicht anders entziehen können, als auf die Art und den Bedingungsartikeln gemäß, die bei jenen Verabredungen ausdrücklich festgesetzt waren, und von ihnen , sie mögen sie nun auf immer, oder nur auf gewissen Zeit angenommen haben, auf das genaueste, als Schuldigkeit erfüllt werden müssen. So hätten wir denn den Grundbesitzern alle ihnen von den Bauern zukommende Vortheile gesichert, und da wir nun die Bevölkerung dieses Landes auf das wirksamste zu befördern streben; so verkündigen wir allen und jeden, sowohl den neu ankommenden, als auch denen, die ihr Vaterland ehemals verlassen haben, und nun dahin zurückkehren möchten, die völlige Freiheit, so daß ein Jeder, der von irgend einer Himmelsgegend her in die Staaten der Republik neu ankommt, oder zu uns zurückkehrt, so wie er nur den polnischen Boden betritt, die völlige Freiheit hat, seine Betriebsamkeit anzuwenden, wo und wie er will; daß er die Freiheit hat, über die Ansiedelung, Frohndienste oder Zinsen Verabredungen zu treffen, wie und auf wie lange er sich verabreden will; daß er die Freiheit hat, sich in der Stadt oder auf dem Lande nieder zu lassen, in Polen wohnen zu bleiben, oder sich, wenn er den Verbindlichkeiten, die er gutwillig auf sich genommen hatte, genüge gethan hat, in ein Land zu wenden, wohin es ihm belieben wird.

 

V. Regierung, oder Bestimmung der öffentlichen Gewalten.

 

Jede Gewalt in der menschlichen Gesellschaft entspringt aus dem Willen der Nation. Um nun die bürgerliche Freiheit, die Ordnung in der Gesellschaft, und die Verletzlichkeit der Staaten der Republik auf immer sicher zu stellen, soll die Regierungsform der polnischen Nation aus drei Gewalten, und zwar nach dem Willen des gegenwärtigen Gesetzes auf immer bestehen, nämlich: aus der gesetzgebenden Gewalt, bei den versammelten Ständen; aus der höchsten vollziehenden Gewalt, beim Könige und dem Staatsrathe, und aus der richterlichen Gewalt, bei den zu diesem Ende niedergesetzten, oder noch niederzusetzenden Gerichtsstellen.

 

VI. Der Reichstag, oder die gesetzgebende Gewalt.

 

Der Reichstag (Sejm) oder die versammelten Stände sollen sich in zwei Stuben theilen, in die Landbotenstube (Izbę Poselską) und die Senatorenstube (Izbę Senatorską), unter dem Vorsitze des Königs.

 

Die Landbotenstube soll, als Repräsentant und Inbegriff der Souveränität der Nation, das Heiligthum der Gesetzgebung seyn; daher soll auch zuerst in der Landbotenstube über alle Projecte decidirt werden, und zwar

1) in Rücksicht der allgemeinen, das heißt politischen, Civil- und Criminalgesetze, und der Anwendung fester Abgaben. Unter diesen Materien sollen die den Woywodschaften, Bezirken und Kreisen vom Throne zur Prüfung übergebenen, und durch die Instructionen in die Stube gelangten Propositionen zuerst zur Entscheidung kommen.

2) In Rücksicht der Reichstagsbeschlüsse, das heißt der Beschlüsse über einstweilige Steuern, über den Münzfuß, über Staatsanleihen, über das Adeln und andere Gattungen zufälliger Belohnungen, über die Eintheilung der öffentlichen ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben, über Krieg und Frieden, über die endliche Ratification der Allianz- und Handelstractate, über alle aufs Völkerrecht sich beziehende diplomatische Acten und Verabredungen, über das Quittiren der vollziehenden Magistraturen, und über ähnliche Hauptbedürfnisse der Nation betreffende Vorfälle. Unter diesen Materien sollen die vom Throne geradezu an die Landbotenstube abzugebenden Propositionen zuerst vorgenommen werden.

 

Die Senatorenstube, die unter dem Vorsitze des Königs - der das Recht hat, einmal seine Stimme zu geben, und dann auch die Stimmengleichheit persönlich oder durch Übersendung seiner Meinung an diese Stube zu heben - aus den Bischöfen, Woywoden, Kastellanen und Ministern bestehen, hat folgende Verpflichtungen auf sich:

1) jedes Gesetz, das nach seinem formellen Durchgange durch die Landbotenstube auf der Stelle an den Senat abgeschickt werden muß, entweder anzunehmen, oder durch die gesetzlich vorgeschriebene Stimmenmehrheit der fernern Deliberation der Nation vorzubehalten. Durch die Annahme wird das Gesetz Kraft der Heiligkeit bekommen; durch den Vorbehalt hingegen bloß bis zum künftigen ordinären Reichstage ausgesetzt bleiben, wo dieses vom Senate aufgeschobene Gesetz, wenn man zum zweitenmale darüber einig wird, angenommen werden muß.

2) Soll sie über jeden Reichstagsbeschluß über die oben angeführten Materien, der ihr von der Landbotenstube auf der Stelle überschickt werden muß, zugleich mit der Landbotenstube nach der Stimmenmehrheit decidiren. Die vereinigte, dem Gesetze gemäße Stimmenmehrheit beider Stuben wird den Anspruch und Willen der Stände ausmachen.

 

Hierbei behalten wir uns vor, daß die Senatoren und Minister, bei den Materien über die Rechtfertigung ihrer Amtsführung im Staatsrathe oder in den Commissionen keine entscheidende Stimme im Reichstage haben, und alsdann bloß deshalb im Senat sitzen sollen, um auf das Begeghren des Reichstages Auskunft zu geben. Der Reichstag soll stets fertig seyn, der gesetzgebende und der ordinäre soll aller zwei Jahre seinen Anfang nehmen, und die im Gesetze von den Reichstagen bestimmte Zeit hindurch dauern. Der fertige, bei dringenden Bedürfnissen berufene, Reichstag soll, bloß über die Materien entscheiden, derentwegen er berufen wurde, oder auch über ein zur Zeit seiner Zusammenberufung sich ereignendes Bedürfniß. Kein Gesetz kann auf dem nämlichen ordinären Reichstage, auf welchem es gegründet wurde, aufgehoben werden. Der vollständige Reichstag soll aus der in einem folgenden Gesetze bestimmten Anzahl Personen in der Landboten- und Senatorenstube bestehen. Das auf dem jetzigen Reichstage gegründete Gesetz von den Landtagen wollen wir als die wesentliche Grundlage der bürgerlichen Freiheit feierlich sicher gestellt wissen.

 

Da nun aber die Gesetzgebung nicht von allen verwaltet werden kann, und sich die Nation durch freiwillig gewählte Repräsentanten oder Landboten derselben entledigt; so setzen wir deshalb fest, daß die auf dem Landtage erwählten Landboten, der jetzigen Verfassung zu Folge, bei der Gesetzgebung und bei allgemeinen Nationalbedürfnissen, als Repräsentanten der ganzen Nation als Inhaber des allgemeinen Zutrauens angesehen werden sollen.

 

Alles und alltenhalben soll nach der Stimmenmehrheit entschieden werden; daher heben wir auch das liberum veto, alle Arten von Conföderationen und die Conföderations-Reichstage, als dem Geiste gegenwärtiger Verfassung zuwider, die Regierung zertrümmernd, die Gesellschaft vernichtend, auf immer auf.

 

Indem wir auf der einen Seite gewaltthätigen und öftern Abänderungen der Nationalversammung vorzubeugen suchen, erkennen Wir nichts destoweniger auf der andern die Nothwendigkeit ihrer Vervollkommnung, wenn man ihre Wirkungen auf das allgemeine Wohl wird erfahren haben. Wir bestimmen demnach alle fünf und zwanzig Jahre zur Revision und Verbesserung der Verfassung. Der dann zu haltende Verfassungsreichstag soll ein außerordentlicher seyn, nach der in einem besondern Gesetze gegebenen Vorschrift.

 

VII. Der König, die vollziehende Gewalt.

 

Auch die vollkommenste Regierung kann ohne eine wirksame vollziehende Gewalt nicht bestehen. Das Glück der Nationen hängt von gerechten Gesetzen, die Wirkung der Gesetze von ihrer Vollziehung ab. Die Erfahrung hat zur Genüge gelehrt, daß die Hintansetzung dieses Theiles der Regierung, Polen mit Unglück aller Art erfüllt hat. Nachdem wir daher der freien polnischen Nation die Gewalt, sich selbst Gesetze zu geben, und die Macht, über jede vollziehende Gewalt zu wachen, ingleichen auch die Wahl der Beamten zu den Magistraturen vorbehalten haben; so übergeben wir die Gewalt der höchsten Vollziehung der Gesetze dem Könige in seinem Staatsrathe, der den Namen Wache der Gesetze (straż) führen soll.

 

Die vollziehende Gewalt ist aufs genaueste verbunden, über die Gesetze und ihre Erhaltung Obacht zu haben. Sie wird durch sich selbst thätig seyn, wo es die Gesetze erlauben, wo sie Aufsicht, Vollziehung und wirksame Hülfe erheischen. Ihr sind alle Magistraturen stets Gehorsam schuldig; in ihre Hände übergeben wir die Macht, ungehorsame und ihre Pflichten hintansetzende Magistraturen zu ihrer Schuldigkeit anzutreiben.

 

Die vollziehende Gewalt soll keine Gesetze weder geben noch erklären, keine Abgaben und Steuern, unter welchem Namen es auch sey, auflegen, keine Staatsanleihen machen, die vom Reichstage gemachte Eintheilung der Schatzeinkünfte nicht abändern, keine Kriege erklären, keinen Frieden, keinen Tractat und keine diplomatische Acten definitiv abschließen können. Es soll ihr bloß freistehen, einstweilige Unterhandlungen mit den auswärtigen Höfen zu pflegen, ingleichen einstweiligen und gemeinen Bedürfnissen zur Sicherheit und Ruhe des Landes abzuhelfen; aber hievon ist sie verpflichtet, die nächsten Reichstagsversammlung Bericht zu erstatten.

 

Wir wollen und verordnen, daß der polnische Thron auf immer ein Familienwahlthron seyn soll. Die zur Genüge erfahrnen Übel der die Regierung periodisch zertrümmernden Zwischenreiche; unsere Pflicht, das Schicksal jedes Einwohners in Pöen sicher zu stellen, uind dem Einfluß auswärtigiger Mächte auf immer zu steuern; das Andenken der Herrlichkeit und Glückseligkeit unseres Vaterlandes zu den Zeiten der ununterbrochenen regierenden Familien; die  Nothwendigkeit, Fremde von dem Streben nach dem Throne zurückzuhalten, und dagegen mächtige Polen zur einmüthigen Beschützung der Nationalfreiheit zurückzuführen, haben uns nach reifer Überlegung bewogen, den polnischen Thron nach dem gesetze der Erbfolge zu vergeben. Wir verordnen daher, daß, nach unserm der Gnade Gottes heimgestellten Ableben, der jetzige Churfürst von Sachsen in Polen König seyn soll. Die Dynastie der Churfürsten von Sachsen, ihren Anfang nehmen, dessen Nachkommen de lumbis männlichen Geschlechts wir den polnischen Thron bestimmen. Der älteste Sohn des regierenden Königs soll dem Vater auf dem Throne nachfolgen. Sollte aber der jetzige Churfürst von Sachsen keine Nachkommen männlichen Geschlechts erhalten, so soll, auf den Fall, der vom Churfürsten mit Genehmigung der versammelten Stände für seine Prinzessin Tochter gewählte Gemahl die Linie der männlichen Erbfolge auf dem polnischen Throne anfangen. Daher erklären wir nun auch die Maria Augusta Nepomucena, Prinzessin Tochter des Churfürsten, für die Infantin von Polen, behalten aber dabei der Nation das keiner Verjährung unterworfene Recht vor, nach Erlöschung des ersten Hauses auf dem Throne, ein anderes zu wählen.

 

Jeder König wird bei seiner Thronbesteigung Gott und der Nation den Eid leisten, auf die Erhaltung gegenwärtiger Verfassung, und auf die pacta conventa, die mit dem jetzigen Churfürsten von Sachsen, als ernanntem Thronfolger, werden abgeschlossen worden seyn, und die ihn eben so, als die alten, verpflichten werden.

 

Die Person des Königs ist heilig und unverletzlich. Da er nichts für sich selbst thut; so kann er auch der Nation für nichts verantwortlich seyn; und dafür erkennt und erklärt ihn das Gesetz und die gegenwärtige Verfassung.

 

Die Einkünfte, wie sie in den pactis conventis werden bestimmt werden, und die dem Throne eigenthümlichen, dem künftig zu wählenden, durch diese Verfassung sicher vorbehaltenen Prärogativen sollen nie angetastet werden können.

 

Alle öffentliche Acten, alle Tribunale, Gerichte und Magistraturen, alle Geldstempel müssen den Namen des Königs führen. Der König, der Macht haben soll Gutes zu thun, wird das Recht haben, die zum Tode Verdammten zu begnadigen, Staatsverbrecher allein ausgenommen. Dem Könige soll die höchste Herrschaft über die bewaffnete Landesmacht und die Ernennung der Anführer des Kriegsheeres zukommen, doch dabei die Abänderung derselben nach dem Willen der Nation vorbehalten bleiben. Seine Pflicht wird es auch seyn, die Officiere zu bestellen, Beamte nach der Vorschrift eines später folgenden Gesetzes zu erwählen, Bischöfe und Senatoren nach der Vorschrift eben dieses Gesetzes, ingleichen Minister als die ersten Beamten der vollziehenden Gewalt zu ernennt.

 

Der dem Könige zur Aufsicht, Erhaltung und Vollziehung der Gesetze zugegebene königliche Staatsrath soll bestehen:

1) Aus dem Primas, als dem Haupte der polnischen Geistlichkeit und Vorsitzer der Erziehungscommission. Seine Stelle im Staatsrathe kann durch den ersten Bischoff der Ordnung nach vertreten werden; aber weder jener noch dieser können Resolutionen unterschreiben.

2) Aus fünf Ministern, nämlich dem Polizeiminister, dem Justizminister, dem Kriegsminister, dem Schatzminister und dem Minister für auswärtige Angelegenheiten.

3) Aus zwei Secretairen, von denen der eine das Protocoll des Staatsraths, der andere das Protocoll der auswärtigen Angelegenheiten führen wird, beide ohne entscheidende Stimme.

 

Der Thronfolger darf, wenn er mündig geworden ist, und den Eid auf die Verfassung geleistet hat, bei allen Sitzungen des Staatsraths, doch ohne Stimme, gegenwärtig seyn.

 

Der Reichstagsmarschall, der auf zwei Jahre erwählt wird, soll mit der Zahl der im Staatsrathe sitzenden Personen gehören, doch ohne an dessen Resolutionen Theil zu nehmen, sondern blos deswegen, um unter folgenden Umständen den fertigen Reichstag zusammen zu rufen: wenn er nämlich Vorfällen, die das Berufen des fertigen Reichstages nothwendig erheischen, das wirkliche Bedürfniß desselben erkennen, der König hingegen sich weigern sollte, ihn zu berufen; alsdann soll dieser Marschall Kreisschreiben an die Landboten und Senatoren ergehen lassen, sie zum fertigen Reichstage berufen, und die Beweggründe dazu anzeigen.

 

Die Fälle, wo die Berufung des Reichstages nothwendig wird, sind blos folgende:

1) bei einem dringenden, auf das Völkerrecht sich beziehenden Bedürfnisse, insonderheit bei einem benachbarten Kriege.

2) Bei innerlichen Unruhen, die dem Lande mit einer Revolution, oder mit Collisionen zwischen den Magistraturen drohen.

3) Bei der augenscheinlichen Gefahr einer allgemeinen Hungersnoth.

4) Bei Verwaisung des Vaterlandes durch den Tod des Königs, oder bei einer gefährlichen Kranheit desselben.

 

Alle Resolutionen sollen im Staatsrathe von der oben auseinandergesetzten Personenzahl geprüft werden. Nach Anhörung aller Meinungen soll die Decision des Königs das Übergewicht haben, damit es bei Vollziehung des Gesetzes nur eine Willensmeinung gebe. Daher soll auch keine Resolution anders aus dem Staatsrathe kommen, als unter dem Namen des Königs, und mit seiner eigenhändigen Unterschrift. Außerdem muß sie aber auch von einem der im Staatsrathe sitzenden Minister unterschrieben seyn. So unterschrieben soll sie erst zum Gehorsam verbinden, und von den Commissionen oder irgend einer vollziehendne Magistratur befolgt werden; doch blos in den Materien, die durch gegenwärtiges Gesetz nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind. Auf den Fall, daß keiner von den Sitz und Stimme habenden Ministern die Decision unterschreiben wollte, soll der König von der Decision abstehen. Sollte er aber darauf bestehen; so wird bei diesem Ereigniß der Reichstagsmarschall um die Berufung des fertigen Reichstages bitten, und wenn der König diese Berufung verzögern sollte, ihn selbst berufen.

 

So wie der König das Recht hat, alle Minister zu ernennen; so hat er auch das Recht, einen von ihnen aus jeder Abtheilung der Regierungsverwaltung zum Staatsrathe zu rufen. Diese Berufung des Ministers zum Sitze im Staatsrathe soll auf zwei Jahre gelten, doch die weitere Bestätigung derselben dem Könige freistehen. Die zum Staatsrathe berufenen Minister sollen in keinen Commissionen sitzen.

 

In dem Falle hingegen, daß beide auf dem Reichstage vereinigte Stuben mit einer Mehrheit von zwei Dritteln geheimer Stimmen die Entfernung eines Ministers aus dem Staatsrathe oder aus seiner Stelle verlangten, soll der König gehalten seyn, sogleich einen andern an dessen Statt zu ernennen.

 

Da wir wollen, daß der Staatsrath, die Wache der Nationalgesetze, für jede Übertretung derselben der genauesten Verantwortlichkeit bei der Nation unterworfen seyn soll; so verordnen wir, daß, wenn die Minister von der zur Prüfung ihrer Handlungen niedergesetzten Deputation, wegen Übertretung der Gesetze, angeklagt werden, sie mit ihrer Person und ihrem Vermögen verantwortlich seyn sollen. Bei allen solchen Klagen sollen die versammelten Stände die angeschuldigten Minister durch die simple Stimmenmehrheit der vereinigten Stuben an die Reichsgerichte abschicken, wo ihnen entweder die gerechte, ihrem Verbrechen angemessene Strafe, aber, bei erwiesener Unschuld, die Freisprechung von der Klage und Strafe zu Theil werden soll.

 

Der ordentlichen Ausübung der vollziehenden Macht wegen, verordnen wir besondere, mit dem Staatsrathe in Verbindung stehende, ihm zu gehorsamen verpflichtete Commissionen. Die Commissarien dazu werden vom Reichstage erwählt werden, und ihre Ämter die im Gesetze vorgeschriebene Zeit hindurch verwalten. Diese Commissionen sind:

1) Die Erziehungs-,

2) die Polizei-,

3) die Kriegs-,

4) die Schatzcommission.

 

Die auf diesem Reichstage niedergesetzten woywodschaftlichen Ordnungscommissionen stehen gleichfalls unter der Aufsicht des Staatsraths, und werden die Befehle desselben mittelbar durch die oben erwähnten Commissionen erhalten, respective auf die der Macht und den Pflichten eines jeden zukommenden Gegenstände.

 

VIII. Richterliche Gewalt.

 

Die richterliche Gewalt kann weder von der gesetzgebenden, noch vom Könige ausgeübt werden, sondern von den zu diesem Ende gegründeten und erwählten Magistraturen. Sie muß auch mit den Orten in solcher Verbindung stehen, daß jeder die Gerichtigkeit in der Nähe hat, und der Verbrecher allenthalben die drohende Hand der Landesregierung über sich erblickt. Wir verordnen daher:

1) Gerichte erster Instanz für jede Woywodschaft, jeden Bezirk und Kreis, und hiezu sollen die Richter auf den Landtagen gewählt werden. Die Gerichte erster Instanz werden stets bereit und wachsam seyn, denen, die es bedürfen, zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Von diesen gerichten soll an die für jede Provinz niederzusetzenden Haupttribunale appellirt werden, und diese sollen ebenfalls aus Personen bestehen, die man auf den Landtagen erwählt hat. Diese Gerichte, sowohl die erster, als auch die zweiter Instanz, werden für den  Adel und alle Landeigenthümer in causis juris et facti, es betreffe, wen es wolle, Landgerichte seyn.

2) Bestätigen wir allen Städten die Gerichtsjurisdictionen, zufolge des auf dem gegenwärtigen Reichstage gegebenen Gesetzes von den freien königlichen Städten.

3) Die Referendargerichte sollen für jede Provinz besonders gehalten werden; zum Behuf der Processe der freien, nach alten Rechten diesen Gerichten unterworfenen Bauern.

4) Die Hofassessorial-, Relations- und Kurländischen gerichte sollen beibehalten bleiben.

5) Die vollziehenden Commissionen werden in den Angelegenheiten, die zu ihrer Administration gehören, Gericht halten.

6) Außer den Gerichten für die Civil- und Criminalprocesse, soll es auch für alle Stände ein höchstes Gericht, Reichstagsgericht genannt, geben, wozu die Personen bei Eröffnung jedes Reichstages erwählt werden sollen. Vor dieses Gericht sollen die Verbrechen gegen die Nation und den König, oder die crimina status gehören.

 

IX. Reichsverwesung.

 

Der Staatsrath wird zugleich Reichsverweser seyn, und dabei die Königin, oder in deren Abwesenheit den Primas an der Spitze haben. Die Reichsverwesung kann blos in folgenden drei Fällen Statt finden.

1) Bei der Minderjährigkeit des Königs,

2) bei einer Schwachheit, die bei ihm eine anhaltende gemüthsverwirrung hervorbringt,

3) im Fall der König im Kriege gefangen werden sollte.

Die Minderjährigkeit wird nicht länger als volle achtzehn Jahre dauern; die Schwäche einer anhaltenden Gemüthsverwirrung aber kann nicht anders, als durch den fertigen Reichstag mit der Stimmenmehrheit von drei Viertel beider vereinigten Stuben declarirt werden. Der fertige Reichstag wird die Ordnung der in der Reichsverwesung sitzenden Minister bestimmen, und die Königin zur Vertretung der Pflichten des Königs bevollmächtigen. Wenn nun aber der König im ersten Falle mündig wird, im zweiten zur völligen Gesundheit gelangt, im dritten aus der Gefangenschaft zurückkommt; so sollen ihm die Reichsverweser von ihrem Verhalten Rechenschaft ablegen, und der Nation für die Zeit ihrer Amtsführung, so wie dieses auch dem Staatsrathe vorgeschrieben ist, auf jedem ordinären Reichstage, mit ihren Personen und ihrem Vermögen verantwortlich seyn.

 

X. Erziehung der Kinder des Königs.

 

Die Söhne des Königs, die die Verfassung zu Nachfolgern auf dem Throne bestimmt, sind die ersten Kinder des Vaterlandes; daher kommt auch die Sorge für ihre gute Erziehung der Nation zu, ohne jedoch damit den Rechten der Ältern zu nahe zu treten. Führt der König die Regierung; so soll er selbst mit dem Staatsrathe und dem von den Ständen ernannten Aufseher der Erziehung der Prinzen, sich mit der Bildung derselben beschäftigen. Führt sie aber die Reichsverwesung; so wird dieser, zugleich mit dem erwähnten Aufseher, die Erziehung derselben anvertraut werden. Aber in beiden Fällen soll der von den Ständen ernannte Aufseher auf jedem ordinären Reichstage von der Erziehung und den Fortschritten der Prinzen Bericht erstatten. Die Erziehungscommission hingegen wird die Pflicht auf sich haben, dem Reichstage den Plan des Unterrichts und der Erziehung der königlichen Prinzen zur Bestätigung vorzulegen, damit durch übereinstimmende Erziehungsgrundsätze, früh und ununterbrochen, den Gemüthern der künftigen Thronfolger, Religion, Liebe zur Tugend, zum Vaterlande, zur Freiheit und Landesverfassung eingeflößt werde.

 

XI. Bewaffnete Macht der Nation.

 

Die Nation ist es sich selbst schuldig, sich gegen Überfälle zu vertheidigen, und ihre Unverletzlichkeit zu bewahren; folglich sind alle Bürger Vertheidiger der Unverletzlichkeit und Freiheit der Nation. Die Armee ist nichts anders, als eine aus der Gesammtmacht der Nation gezogene, bewaffnete und geordnete Macht. Die Nation ist ihrer Armee dafür, daß sie sich einzig und allein ihrer Vertheidigung weihet, Belohnung und Achtung schuldig. Die Armee ist der Nation schuldig, über die Grenzen und die allgemeine Ruhe zu wachen, kurz, für sie die mächtigste Schutzwehr zu seyn. Damit sie nun diese ihre Bestimmung wirklich erfülle; so hat sie die Pflicht auf sich, den Vorschriften des Gesetzes gemäß, ununterbrochen unter dem Gehorsam der vollziehenden Gewalt zu bleiben, und auf treue Ergebenheit gegen die Nation und den König, und auf die Vertheidigung der Nationalverfassung zu schwören. Die Nationalarmee kann folglich gebraucht werden: zur allgemeinen Landesvertheidigung, zur Bewahrung der Festungen und Grenzen, oder auch zur Unterstützung des Gesetzes, wenn Jemand der Vollziehung desselben nicht gehorsamen wollte.

 


 

Erklärung der versammelten Stände

zum Gesetz über die Regierung vom 3. Mai 1791

 

Alle alten und neuen Gesetze, die dieser Verfassung und irgend einem Artikel derselben widersprechen, heben wir hiedurch auf. Und die besondern Vorschriften, die zu den Artikeln dieser Verfassung und den in ihr enthaltenen Gegenstände noch erforderlich sind, und die gegenseitigen Pflichten und den Regierungs-Plan näher auseinandersetzen werden, erklären wir für Teile dieser Verfassung. Der vollziehenden Gewalt empfehlen wir, daß der Staatsrath ihre Pflichten sogleich unter den Augen des Reichstags anfange und ununterbrochen fortsetze. Wir schwören Gott und dem Vaterlande aufs feierlichste, daß wir dieser Verfassung gehorsam sein und sie mit aller menschlichen Kraft beschützen wollen; und diesen Eid, den wir als Bürgen aufrichtiger Vaterlandsliebe ansehen, befehlen wir sogleich allhier zu Warschau von allen Commissionen und Gerichtsbarkeiten, nicht weniger von den hier anwesenden Truppen, und in Zeit von spätestens einem Monate nach dem Tage dieses Gesetzes auf Verordnung der Kriegs-Commission, von der ganzen Nationalarmee in dem Gebiete der Krone Polen und des Großherzogthums Lithauen schwören zu lassen. Wir ordnen einerlei Tag für alle Kirchen im Lande zum Dankfeste, und das soll der 8. Mai dieses Jahres sein. An diesem Feste werden unsere ehrwürdigen Bischöfe veranstalten, daß Gott dafür gedankt werde, daß er einen vortheilhaften Zeitpunkt gegeben hat, uns Polen von fremder Übermacht und innerer Unordnung zu erlösen, daß er uns eine Regierung wiedergegeben hat, welche unsere wahrhafte Freiheit und die Integrität Polens völlig sichern kann, und daß er auf diese Art unser Vaterland auf eine Staffel gesetzt hat, wo wir in den Augen Europens wahre Achtung desselben gewinnen können. Wir bestimmen den Tag des heiligen Stanislaus (= 7. Mai), des Bischofs und Martyrers wie auch Patrons der Krone Polens, zu einem Jahresfeste, und wir und unsere Nachkommen werden ihn feierlich als einen Tag begehen, welcher der allweisen Vorsicht gewidmet ist, und an welchem das Vaterland nach so viel überstandenem Unglücke froh und sicher Atem holen kann. Wir wollen auch, daß unsere Geistlichkeit, und daß sowohl die Welt- als die Ordensgeistlichen in dem christlichen Unterrichte, der den rechtgläubigen Leuten gebühret, jedermann unaufhörlich zu ähnlichen Dankpreisungen Gottes ermundern sollen. Damit aber die künftigen Jahrhunderte um so stärker empfinden mögen, daß wir, nachdem wir dies so erwünschte Weg ohnerachtet aller Schwierigkeiten und Hindernisse mit Hilfe des höchsten Regierers der Schicksale der Nation glücklich ausgeführt haben, nicht diese glückliche Gelegenheit zu Vereinigung unserer Nation verabsäumen wollen: So verordnen wir, daß zum Andenken dieser Begebenheit eine Kirche durch Wahl aller Stände ausgesucht und der Höchsten Vorsehung geweihet werden  soll.

 

Wenn wir so der allgemeinen Freude genügt haben, müssen wir auch ein wachsames Auge auf der Befestigung dieser Verfassung richten und verordnen daher, daß, wenn sich irgend jemand erkühnen möchte, sich dieser Verfassung zu widersetzen oder sonst Bewegungen machen sollte, sie zu zerstören, oder die Ruhe der guten, jetzt ihre Glückseligkeit anfangenden Nation beunruhigen, Mißtrauen ausbreiten, die Verfassung verkehrt auslegen, oder gar im Lande irgendeinen Aufstand des Adels, oder eine Konföderation entweder selbst erregen oder auch nur auf einige Art dazu behilflich seyn sollte, wor den wollen ansehen für einen Feind des Vaterlandes, für einen Verräter desselben, und für einen Aufrüher, und daß er sogleich durch das Reichstagsgericht mit den schärfsten Strafen belegt werden soll. wir befehlen dieserhalb, daß das Reichstagsgericht mit den schärfsten Strafen belegt werden soll. Wir befehlen dieserhalb, daß das Reichstagsgericht hier zu Warschau ununterbrochen vollständig zugegen sei, seine Sitzungen von einem Tage zum andern halte, und wenn ihm von angesessenen Bürgern, in Assistenz der Instigatoren beider Nationen Denuntiationen von erregtem Aufstande oder von Beredungen dazu gemacht werden, soll es selbige unverzüglich richten und der Personen, die seinen Aussprüchen unterworfen sein sollen, sich wohl versichern; und dazu soll auch die Nationalarmee, nach vorher von dem Reichstagsgerichte mit der vollziehenden Gewalt gehaltener Rücksprache Hilfe zu leisten, bereit und willig seyn.

 

Vorstehende Verfassung samt dem Gesetz vom 14. April 1791 über die Freiheiten der königlichen Städte Polens war die erste geschriebene Verfassung Europas, noch vor der ersten französischen Verfassung vom 3. September 1791. Vorstehende Verfassung wurde durch eine adelige Vereinigung ("Konföderation von Targowica"), die sich mit Hilfe Rußlands unter der Kaiserin Katharina II. gebildet hatte, ausgehebelt, bevor sie ihre Kraft entfalten konnte, und König Stanislaus August wurde genötigt, seinen Eid, den er am 8. Mai 1791 in einer Kirche in Warschau geleistet hatte, zu brechen. Am 23. Juli 1792 schloß sich der König gezwungenermaßen der öppositionellen adeligen Vereinigung an, und berief nach den alten, nicht mehr geltenden Bestimmungen einen Reichstag nach Grodno ein, wo dieser am 29. September 1792 die Verfassung vom 3. Mai 1791 rechtswidrig wieder aufhob.

 

Man kann die vorstehende Verfassung auch als den Beginn vom vorläufigen Ende der Staatlichkeit Polens bezeichnen, denn durch diese freiheitliche, (revolutionäre) Verfassung kam es zu einer Allianz der absolutistischen Staaten Rußland und Preußen, die 1793 in einer zweiten Teilung Polens, sich große Teile des Staates Polen einverleibten und diese mußten den Abtretungen auch noch formal zustimmen. Die zweite Teilung hatte jedoch einen Volksaufstand von 1794 zur Folge, der wiederum dazu führte, daß von den Teilungsmächten von 1772 und 1793 eine dritte Teilung durchgesetzt wurde, mit der Polen als unabhängiger Staat vorläufig unterging. 

 


Quellen:  K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 3.Bd., F.A. Brockhaus Leipzig 1833
Agatha Kobuch, Das Angebot der polnischen Königskrone an den Kurfürsten von Sachen durch die Verfassung vom3. Mai 1791, Akademie-Verlag 1994
http://www.law.uj.edu.pl/ (polnisch)
© 18. Dezember 2003 - 20. Dezember 2003


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