Verfassung der Herzogthums Warschau

 

vom 22. Juli 1807

 

geändert durch

königl. Dekret vom 17. April 1810.

 

faktisch aufgehoben infolge der vollständigen Besetzung des Gebietes des Herzogtums Warschau am 13. Mai 1813;

formal aufgehoben durch den § 165 der Verfassung des Königreichs Polen vom 27. November 1815

 

Erster Titel.

 

Art. 1. Die apostolisch-römisch-katholische Religion ist die Staatsreligion.

 

Art. 2. Alle Arten von Gottesdienst sind frei und öffentlich.

 

Art. 3. Das Herzogthum Warschau wird in sechs Diöcesen vertheilt werden; es wird ein Erzbisthum und sechs Bisthümer haben.

 

Art. 4. Die Leibeigenschaft ist abgeschafft; alle Bürger sind gleich vor dem Gesetze; der Stand der Personen ist unter dem Schutz der Gerichtshöfe.

 

Zweiter Titel.

Von der Regierung

 

Art. 5. Die herzogliche Krone von Warschau ist erblich in der Person des Königs von Sachsen, seiner Abkömmlinge, Erben und Nachfolger, nach der im sächsischen Hause eingeführten Successionsordnung.

 

Art. 6. Die Regierung beruht auf der Person des Königs. Er übt die Verrichtungen der vollziehenden Gewalt in ihrem ganzen Umfange aus, und hat die Initiative der Gesetze.

 

Art. 7. Der König kann denjenigen Theil seiner Autorität, welchen er unmittelbar auszuüben nicht gut findet, einem Vicekönige übertragen.

 

Art. 8. Findet der König nicht für gut, einen Vicekönig zu ernennen; so ernennt er einen Präsidenten des Ministerialstaatsraths. In diesem Falle werden die Angelegenheiten der verschiedenen Ministerien im Staatsrathe discutirt, um dem Könige zur Genehmigung vorgelegt zu werden.

 

Art. 9. Der König beruft, prorogirt und vertagt die Versammlung des allgemeinen Reichstages. Eben so beruft er die Landtage oder Districtsversammlungen, ingleichen die Gemeindeversammlungen. Er führt im Senate den Vorsitz, wenn er es für zuträglich hält.

 

Art. 10. Die Güter der herzoglichen Krone bestehen

a) in einem jährlichen Einkommen von sieben Millionen polnischer Gulden, halb in Landgütern oder königlichen Domänen, halb auf den öffentlichen Schatz angewiesen;

b) in dem königlichen Palaste zu Warschau, und dem sächsischen Palaste.

 

Dritter Titel.

Von den Ministern und dem Staatsrathe

 

Art. 11. Das Ministerium ist folgendergestalt zusammengesetzt: ein Justizminister; ein Minister des Innern  und der kirchlichen Angelegenheiten; ein Kriegsminister; ein Finanz- und Schatzminister; ein Polizeiminister. Außerdem wird ein Minister Staatssecretär seyn. Die Minister sind verantwortlich.

 

Art. 12. Wenn der König es für gerathen gefunden hat, denjenigen Theil seiner Autorität, welchen er sich nicht unmittelbar vorbehalten hat, einem Vicekönige zu übertragen; so arbeiten die Minister, jeder besonders, mit dem Vicekönige.

 

Art. 13. Wenn der König keinen Vicekönig ernannt hat; so vereinigen sich die Minister, nach dem, was oben im 8ten Artikel gesagt worden, in einem Ministerial-Staatsrath.

 

Art. 14. Der Staatsrath besteht aus den Ministern. Er versammelt sich unter dem Vorsitze des Königs, oder des Vicekönigs, oder des vom Könige ernannten Präsidenten.

 

Art. 15. Der Staatsrath discutirt, redigirt und beschließt die Entwürfe zu Gesetzen, oder die Verwaltungsreglements, welche jeder Minister in Bezug auf die, sein Departement angehenden, Gegenstände vorschlägt.

 

Art. 16. Dem Staatsrathe sind vier Requetenmeister beigegeben, theils zur Instruction der Verwaltungsreglements, und derjenigen, worin der Staatsrath als Cassationsgericht spricht; theils Behufs der Communicationen des Staatsraths mit den Commissionen der Landbotenkammer.

 

Art. 17. Der Staatsrath erkennt über die Jurisdictionsconflicte zwischen den Verwaltungs- und Justizcollegien, über alle Streitfälle in der Verwaltung, und über die Stellung vor Gericht der öffentlichen Verwaltungsbeamten.

 

Art. 18. Die im Staatsrathe discutirten Entscheidungen, Gesetzentwürfe, Decrete und Reglements werden dem Könige zur Genehmigung vorgelegt.

 

Vierter Titel.

Von dem allgemeinen Reichstage

 

Art. 19. Der allgemeine Reichstag besteht aus zwei Kammern, nämlich: der ersten Kammer, oder Kammer des Senats, und der zweiten Kammer, oder Kammer der Landboten.

 

Art. 20. Der allgemeine Reichstag versammelt sich aller zwei Jahre zu Warschau in dem durch di königliche Zusammenberufungsacte bestimmten Zeitpuncte. Die Sitzung dauert nicht über fünfzehn Tage.

 

Art. 21. Seine Geschäfte bestehen in Berathschlagung über das Abgaben- oder Finanzgesetz, und über die Gesetze in Bezug auf die in der Civil- oder Criminalgesetzgebung, oder im Münzsysteme vorzunehmenden Änderungen.

 

Art. 22. Die im Staatsrathe verfassten Gesetzesentwürfe werden auf Befehl des Königs der allgemeinen Reichsversammlung übersandt, in der Landbotenkammer durch geheimes Scrutinium, und nach der Mehrheit der Stimmen berathen und dem Senate zur Sanction überreicht.

 

Fünfter Titel.

Vom Senate

 

Art. 23. Der Senat besteht aus achtzehn Mitgliedern, nämlich: sechs Bischöffen, sechs Woywoden und sechs Kastellanen.

 

Seit dem königl. Dekret vom 17. April 1810 bestand das Herzogtum Warschau aus 10 Woiwodschaften, so daß der Artikel 23 modifiziert wurde.

 

Art. 24. Die Woywoden und Kastellane werden vom Könige ernannt. Die Bischöffe werden Könige ernannt, und vom heiligen Stuhle eingesetzt.

 

Art. 25. Im Senate führt Eins seiner Mitglieder, das der König zu dem Ende ernennt, den Vorsutz.

 

Art. 26. Die Amtsverrichtungen der Senatoren sind lebenslänglich.

 

Art. 27. Die in Gemäßheit des unten Gesagten in der Landbotenkammer berathenen Gesetzesentwürfe werden dem Senate zur Sanction übersandt.

 

Art. 28. Der Senat ertheilt dem Gesetze seine Genehmigung, außer in nachstehenden Fällen:

a) wenn über das Gesetz nicht nach den durch die Verfassung vorgeschriebenen Formen berathschlagt, oder die Berathschlagung durch gewaltsame Handlungen gestört worden ist;

b) wenn der Senat weiß, dass das Gesetz nicht durch die Mehrheit der Stimmen angenommen worden ist;

c) wenn der Senat dafür hält, dass das Gesetz entweder der Staatssicherheit, oder den Vorschriften des gegenwärtigen Verfassungsstatuts zuwider ist.

 

Art. 29. Falls der Senat aus einem der vorstehenden Beweggründe einem Gesetz seine Sanction verweigert hat; so bekleidet er den König durch eine motivirte Deliberation mit der nöthigen Autorität, um den Beschluß der Landboten zu vernichten.

 

Art. 30. Ist die Weigerung des Senats durch einen der zwei ersten, im Artikel 28 vorgesehenen Fälle motivirt; so kann der König, nach Anhörung des Staatsraths, den Gesetzesentwurf an die Landbotenkammer zurücksenden lassen, mit der Anweisung, regelmäßig zu verfahren. Erneuern sich die nämlichen Unordnungen, entweder in der Haltung der Versammlung, oder in den Formen der Berathung, so ist die Landbotenkammer hierdurch selbst aufgelöst, und der König verordnet neue Wahlen.

 

Art. 31. Tritt der Fall der Auflösung der Landbotenkammer ein; so bleibt das Finanzgesetz auf ein Jahr prorogirt, und die bürgerlichen und peinlichen Gesetze werden fernerhin, ohne Einschränkung oder Abänderung, in Vollzug gebracht.

 

Art. 32. Hat der Senat einem Gesetze seine Sanction verweigert; so kann der König gleichergestalt, ind in allen Fällen, neue Senatoren ernennen, und alsdann das Gesetz abermals dem Senate zuschicken. Dennoch darf der Senat nie aus mehr als 6 Bischöffen, 12 Woywoden und 12 Kastellanen bestehen.

 

Seit dem königl. Dekret vom 17. April 1810 bestand das Herzogtum Warschau aus 10 Woiwodschaften, so daß der Artikel 32 modifiziert wurde.

 

Art. 33. Hat der König von dem, im vorstehenden Artikel beschriebenen Rechte Gebrauch gemacht; so werden die im Senate unter den Woywoden und Kastellanen erledigten Stellen nicht wieder besetzt, bis der Senat auf die im Artikel 23 festgesetzte Zahl zurückgebracht ist.

 

Art. 34. Hat der Senat einem Gesetze seine Genehmigung ertheilt, oder hat der König, ungeachtet der motivirten Deliberation des Senats, dessen Promulgation befohlen; so wird der Entwurf zum Gesetze für unmittelbar verbindlich erklärt.

 

Sechster Titel.

Von der Landbotenkammer

 

Art. 35. Die Landbotenkammer besteht

a) aus sechszig Landboten, die von den Landtagen oder Versammlungen der Edelleute jedes Districts, in dem Verhältnisse von Einem Landboten auf den District, ernannt werden. Die Landboten müssen wenigstens das 24ste Jahr zurückgelegt haben, im Genuß aller ihrer Rechte, oder für volljährig erklärt seyn;

b) aus vierzig Abgeordneten der Gemeinden.

 

Seit dem königl. Dekret vom 17. April 1810 bestand das Herzogtum Warschau aus 10 Woiwodschaften, so daß der Artikel 35 modifiziert wurde.

 

Art. 36. Das ganze Gebiet des Herzogthums Warschau wird in vierzig Gemeindeversammlungen getheilt; nämlich acht für die Stadt Warschau, und zwei und dreißig für das übrige Gebiet.

 

Art. 37. Jede Gemeindeversammlung muß wenigstens sechshundert stimmberechtigte Bürger in sich begreifen.

 

Art. 38. Die Mitglieder der Landbotenkammern bleiben neun Jahre im Amte; sie werden drittelweise alle drei Jahre erneuert. Demzufolge wird, aber blos für das erste Mal, ein Drittel der Mitglieder der Landbotenkammer nur drei Jahre, und ein anderes Drittel sechs Jahre im Amte bleiben. Das Verzeichniß der in diesen beiden Zeitpuncten austretenden Mitglieder wird durch das Loos gebildet werden.

 

Art. 39. In der Landbotenkammer führt ein Marschall den Vorsitz, der aus ihrer Mitte gewählt, und vom Könige ernannt wird.

 

Art. 40. Die Landbotenkammer berathschlagt über die Gesetzesentwüfe, welche alsdann dem Senate zur Sanction zugesandt werden

 

Art. 41. Sie ernennt bei jeder Sitzung, durch geheime Abstimmung und nach Mehrheit der Stimmen, drei Commissionen, jede von fünf Mitgliedern. Diese sind: eine Finanzcommission, eine Commission für die bürgerliche, und eine Commission für die peinliche Gesetzgebung. Der Marschall-Präsident der Landbotenkammer macht dem Staatsrathe in einer Botschaft von der Ernennung besagter Commissionen Mittheilung.

 

Art. 42. Ist ein Gesetzesentwurf im Staatsrathe abgefaßt; so theilt ihn selbiger derjenigen Commission, welche der Gegenstand des Gesetzes angeht, durch den Minister des betreffenden Departements, und durch die Dazwischenkunft der dem Staatsrathe beigegebenen Requetenmeister mit. Hat die Commission über den Gesetzesentwurf Bemerkungen zu machen; so versammelt sie sich bei besagtem Minister. die mit der Mittheilung des Gesetzesentwurfes beauftragten Requetenmeister werden zu diesen Conferenzen zugelassen.

 

Art. 43. Beharrt die Commission auf ihren Bemerkungen, und begehrt sie Modificationen in dem Gesetzesentwurfe; so erstattet der Minister dem Staatsrathe darüber Bericht. Dieser kann die Mitglieder der Commission zulassen, um in seiner Mitte über diejenigen Puncte des Gesetzesentwurfes, welche man für modificationsfähig gehalten hat, zu discutiren.

 

Art. 44. Nachdem der Staatsrath, entweder durch den Bericht des Ministers, oder durch die in seiner Mitte statt gehabte Discussion, von den Bemerkungen der Commission Kenntniß genommen hat; so beschließt er definitiv die Abfassung des Gesetzentwurfes, welcher nun zur Berathung an die Landbotenkammer geschickt wird.

 

Art. 45. Die Mitglieder des Staatsraths sind geborne Mitglieder der Landbotenkammer. Sie haben darin Sitzung und berathende Stimme.

 

Art. 46. Die Mitglieder des Staatsrathes und die Mitglieder der Landbotencommission haben allein das Recht, in der Kammer das Wort zu führen; es sey nun, falls der Staatsrath und die Commission über den Gesetzesentwurf einig sind, um dessen Vortheile ans Licht zu stellen, oder falls sie uneins sind, um dessen Nachtheile hervorzuheben, oder sie zu bestreiten. Kein anderes Mitglied darf über den Gesetzesentwurf das Wort nehmen.

 

Art. 47. Die Mitglieder der Commission können ihre individuelle Meinung über den Gesetzesentwurf öffentlich aussprechen; sie mögen nun von der Meinung der Mehrheit oder der Minderheit der Commission gewesen seyn. Die Mitglieder des Staatsraths hingegen dürfen nur zu Gunsten des im Staatsrathe beschlossenen Gesetzesentwurfes sprechen.

 

Art. 48. Urtheilt der Marschall-Präsident der Landbotenkammer, daß der Gegenstand hinlänglich aufgeklärt ist; so kann er die Discussion schließen, und den Gesetzesentwurf zur Berathung aufstellen. Die Kammer berathschlagt durch geheimes Scrutinium und nach absoluter Mehrheit der Stimmen.

 

Art. 49. Ist über ein Gesetz berathschlagt; so schickt es die Landbotenkammer sogleich an den Senat.

 

Siebenter Titel.

Von den Landtagen und Gemeindeversammlungen.

 

Art. 50. Die Landtage oder Districtsversammlungen bestehen aus den Edelleuten des Districts.

 

Art. 51. Die Gemeindeversammlungen bestehen aus den Eigenthum besitzenden, nichtadeligen Bürgern, und aus den übrigen Bürgern, die nach dem , was unten folgt, daran Theil zu nehmen berechtigt sind.

 

Art. 52. Die Landtage und Gemeindeversammlugnen werden vom Könige zusammenberufen. Der Ort, der Versammlungstag, die Verrichtungen, womit sie sich beschäftigen sollen, und die Dauer ihrer Sitzung werden in den Convocationsschreiben ausgedrückt.

 

Art. 53. Niemand kann zum Stimmen zugelassen werden, der nicht das 21ste Jahr zurückgelegt hat, im Genuß seiner Rechte, oder für emancipirt erklärt ist. die Emancipation kann in Zukunft, ungeachtet aller bisherigen zuwiderlaufenden Gesetze oder Gewohnheiten, mit 21 Jahren Statt haben.

 

Art. 54. Jeder Landtag oder jede Districtsversammlung ernennt einen Landboten, und schlägt Candidaten zu den Departements- und Districtsräthen, so wie zu den Friedensrichterstellen, vor.

 

Art. 55. Bei den Landtagen führt ein vom Könige ernannter Marschall den Vorsitz.

 

Art. 56. Sie werden in zehn Reihen getheilt. Jede Reihe besteht aus solchen Districten, die von einander durch das Gebiet eines oder mehrerer Districte getrennt sind. Zwei Reihen können nicht zu gleicher Zeit zusammenberufen werden.

 

Art. 57. Die Abgeordneten der Gemeinden werden durch die Gemeindeversammlungen ernannt. Sie schlagen eine doppelte Liste von Candidaten zu den Municipalräthen vor.

 

Art. 58. In den Gemeindeversammlungen sind zu stimmen berechtigt:

a) Jeder angesessene, nicht adelige Bürger.

b) Jeder Fabrikant oder Kaufmann, der in seiner Boutique oder Magazin einen Fonds von wenigstens 10.000 polnischen Gulden an Werth hat.

c) Alle Pfarrer und Vicaren.

d) Jeder Künstler und jeder Bürger, der sich durch seine Talente, seine Kenntnisse, oder durch Dienste, die er dem Handel oder den Künsten geleistet hat, auszeichnet.

e) Jeder Unterofficier und Soldat, der, nachdem er Wunden erhalten oder mehrere Feldzüge gemacht, seinen Abschied bekommen hat.

f) Jeder dienstthuende Unterofficier oder Soldat, der wegen seines guten Betragens Auszeichnungen erhalten hat.

g) Die Officiere von jedem Grade. Die besagten, zu der Zeit wirklich dienstthuenden, Officiere, Unterofficiere und Soldaten, welche sich in der Stadt, wo die Gemeindeversammlung gehalten wird, zur Besatzung befinden könnten, dürfen, blos in diesem Falle, das durch gegenwärtigen Artikel bewilligte Recht nicht ausüben.

 

Art. 59. Die Liste der angesessenen Stimmberechtigten wird durch die Municipalität angefertigt, und durch die Steuereinnehmer beglaubigt. Die Liste der Pfarrer und Vicarien wird vom Präfecten angefertigt, und durch den Minister des Innern visirt. Die Liste der im obigen Artikel angeführten Officiere, Unterofficiere und Soldaten wird vom Präfecten angefertigt, und durch den Kriegsminister visirt. Die Listen der Fabrikanten, Kaufleute, Künstler u.s.w. werden vom Präfecten angefertigt, und alle Jahre durch den Senat bestätigt. Die Bürger, welche sich in dem letzten der oben angeführten Fälle befinden, können ihre Petitionen mit beigefügten Beweisschriften gerade an den Senat richten.

 

Art. 60. Der Senat kann in allen Fällen, wo er in Bildung der Listen Mißbräuche zu argwohnen, Ursache hat, die Verfertigung neuer anbefehlen.

 

Art. 61. Die Gemeindeversammlungen können nicht zu gleicher Zeit im ganzen Umkreise eines Districts zusammenberufen werden. Es wird immer ein Zwischenraum von acht Tagen zwischen der Versammlung einer jeden von ihnen seyn, blos die zu Warschau ausgenommen, von denen immer zwei zugleich zusammenberufen werden können.

 

Art. 62. In den Gemeindeversammlungen führt ein vom Könige ernannter Bürger den Vorsitz.

 

Art. 63. In den Landtagen und Gemeindeversammlungen darf keine Discussion, von welcher Art sie auch sey, keine Berathschlagung, Petition oder Vorstellung Statt finden. Sie dürfen sich nur mit der Wahl der Deputirten oder Candidaten beschäftigen, deren Zahl nach dem Obigen in den Convocationsschreiben im Voraus angegeben ist.

 

Achter Titel.

Gebietseintheilung und Verwaltung.

 

Art. 64. Das Gebiet bleibt in sechs Departements vertheilt.

 

Seit dem königl. Dekret vom 17. April 1810 bestand das Herzogtum Warschau aus 10 Woiwodschaften, so daß der Artikel 64 modifiziert wurde.

 

Art. 65. Jedes Departement wird durch einen Präfecten verwaltet. In jedem Departement ist ein Rath für die streitigen Angelegenheiten, der wenigstens dem Departement ist ein Rath für die streitigen Angelegenheiten, der wenigstens aus drei, höchstens aus fünf Mitgliedern besteht, und ein allgemeiner Departementsrath, der wenigstens aus sechszehn, höchstens aus vier und zwanzig Mitgliedern besteht.

 

Art. 66. Die Districte werden durch einen Unterpräfecten verwaltet. In jedem District ist ein Districtsrath, der wenigstens aus neun, höchstens aus zwölf, Mitgliedern besteht.

 

Art. 67. Jede Minicipalität wird durch einen Maire oder Präsidenten verwaltet. In jeder Municipalität ist ein Municipalrath, der aus zehn Mitgliedern für 2500 Einwohner und darunter, aus zwanzig für 5000 Einwohner und darunter, und aus dreißig für die Städte von mehr als 5000 Einwohnern besteht.

 

Art. 68. Die Präfecte, Präfecturräthe, Unterpräfecte und Maires, werden vom Könige, ohne vorgängige Präsentation, ernannt. Die Mitglieder der Departementsräthe und Ditrictsräthe werden vom Könige aus einer zwiefachen, durch die Districtslandtage angefertigten Candidatenliste ernannt. Sie werden aller zwei Jahre zur Hälfte erneuert. Die Mitglieder der Municipalräthe werden vom Könige aus einer zwiefachen, von den Gemeindeversammlungen angefertigten, Candidatenliste ernannt. Sie werden aller zwei Jahre zur Hälfte erneuert. Die Departements- und Districtsräthe, so wie die Municipalräthe, ernennen einen aus ihrer Mitte gewählten Präsidenten.

 

Neunter Titel.

Gerichtsverfassung

 

Art. 69. Der Codex Napoleon wird das bürgerliche Gesetz im Herzogthume Warschau bilden.

 

Art. 70. Das Verfahren ist öffentlich, sowohl in Civil- als peinlichen Sachen.

 

Art. 71. In jedem Districte ist ein Friedensgericht; in jedem Departement ein bürgerliches Tribunal erster Instanz; für zwei Departements immer ein peinlicher Gerichtshof, und für das ganze Herzogthum Warschau nur Ein Appellationsgerichtshof.

 

Art. 72. Der Staatsrath, dem vier von dem Könige ernannte Requetenmeister zugegeben sind, versieht die Verrichtungen eines Cassationsgerichts.

 

Art. 73. Die Friedensrichter werden vom Könige aus einer dreifachen, durch die Districtslandtage angefertigten Candidatenliste ernannt. Sie werden aller zwei Jahre zum dritten Theil erneuert.

 

Art, 74. Der richterliche Stand ist unabhängig.

 

Art. 75. Die Richter der Tribunale erster Instanz, der Criminalgerichtshöfe und des Appellationsgerichts, werden vom Könige, und zwar auf Lebenszeit, ernannt.

 

Art. 76. Das Appellationsgericht kann, entweder auf die Denunciation des königlichen Procurators, oder eines seiner Präsidenten, vom Könige die Absetzung eines Richters von einem Tribunale erster Instanz, oder von einem Criminalgerichtshofe, den es einer Prävarication in der Ausübung seines Amtes für schuldig hält, begehren. Die Absetzung eines Richters von dem Appellationsgerichtshofe kann durch den Statsrath, in seiner Eigenschaft als Cassationsgericht, begehrt werden. Nur in diesen Fällen kann der König die Absetzung eines Richters verfügen.

 

Art. 77. Die Urtheile der Gerichtshöfe und Tribunale werden im Namen des Königs ausgesprochen.

 

Art. 78. Das Begnadigungsrecht gehört dem Könige; er allein kann die Strafe erlassen oder abändern.

 

Zehnter Titel.

Von der bewaffneten Macht.

 

Art. 79. Die bewaffnete Macht wird aus 30.000 Mann von allen Waffenarten, effectiv im Dienste, bestehen. Die Nationalgarden sind hiebei nicht mitgerechnet.

 

Art. 80. Der König kann einen Theil der Truppen des Herzogthums Warschau nach Sachsen berufen, wenn er sie durch einen gleiche Anzahl sächsischer Truppen ersetzt.

 

Art. 81. Falls die Umstände es mit sich brächten, dass, außer den Truppen des Herzogthums Warschau, der König in das Gebiet dieses Herzogthums andere sächsische Truppencorps schickte; so soll doch bei dieser Gelegenheit keine neue Auflage oder öffentliche Last, außer den durch das Finanzgesetz autorisirten, eingeführt werden dürfen.

 

Elfter Titel.

Allgemeine Vorschriften

 

Art. 82. Die Titularen aller Stellen und Ämter, die nicht lebenslänglich sind, die Vicekönigsstelle mit eingeschlossen, aber die Landboten ausgenommen, können nach dem Gutbefinden des Königs abberufen werden.

 

Art. 83. Kein Individuum, das nicht Bürger des Herzogthums Warschau ist, kann darin zu einem Amte ernannt werden, dasselbe sey nun geistlich, oder bürgerlich, oder richterlich.

 

Art. 84. Alle Acten der Regierung, der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Tribunale, werden in der Nationalsprache geschrieben.

 

Art. 85. Die vormals in Polen bestandenen Civil- und Militärorden werden beibehalten. Der König ist das Haupt dieser Orden.

 

Art. 86. Gegenwärtiges Verfassungsstatut wird durch Reglements vervollständigt werden, die der König erläßt, nachdem sie in seinem Staatsrathe discutirt wurden.

 

Art. 87. Die Gesetze und öffentlichen Verwaltungsreglements werden im Bulletin der Gesetze publicirt, und bedürfen keiner andern Form von Publication, um verpflichtend zu werden.

 

Zwölfter Titel.

Vorschriften für einen gewissen Zeitraum

 

Art. 88. Die gegenwärtig bestehenden Abgaben werden fortwährend bis zum 1. Januar 1809 bezogen werden.

 

Art. 89. Man wird Nichts an der gegenwärtigen Zahl und Organisation der Truppen ändern, bis in dieser Rücksicht durch den ersten zusammenberufenen allgemeinen Reichstag etwas festgestellt ist.

 

            Unterzeichnet die Mitglieder der Regierungscommission:

Malachowsky; Dzialinsky; Wibizky; Bilinsky; Sobolewsky;

Luczewoky, General-Secretär.

 

            Wir, Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die Verfassungen Kaiser der Franzosen, König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes, haben genehmigt und genehmigen vorstehendes Verfassungsstatut, welches uns in Vollziehung des 5. Artikels des Tilsiter Tractats vorgelegt worden ist, und welches wir für angemessen halten, unsere Verpflichtungen gegen die Völker von Warschau und Großpolen zu erfüllen, indem es ihre Freiheiten und Rechte mit der Ruhe der benachbarten Staaten in Einklang bringen.

 

            So geschehen im königlichen Palaste zu Dresden, den 22. Julius 1807

Napoleon

 

Durch den Kaiser, der Minister Staats-Secretär,

H. B. Maret.

 

Vorstehende Verfassung war, 12 Jahre nach der dritten Teilung und damit dem Untergang Polens von Napoleon dem Herzogtum Warschau als Protektor gegeben worden.

 

Das Herzogtum wurde gebildet aus den, von Preußen im Tilsiter Friedensvertrag vom 7. Juli 1807 an Napoleon abgetretenen Gebieten, die Preußen 1795 durch die dritte Teilung Polens sich einverleibt hatte, und somit einschließlich der ehemaligen Hauptstadt Polens, Warschau. Unmittelbar nach dem Friedensschluß in Tilsit schafft Napoleon bei einem Besuch in Dresden das Herzogtum mit dem König von Sachsen als Herzog von Warschau. In der Verfassung wird der Herzog von Warschau stets als König (von Sachsen) bezeichnet.

 

Durch den Friedensvertrag von Schönbrunn vom 14. Oktober 1809 zwischen Frankreich und Österreich wurde das Herzogtum Warschau, um die Gebiete, die Österreich in der Dritten Teilung 1795 erhalten hatte erweitert, was auch eine Änderung der Verfassung erforderlich machte.

 

Nach dem Rußlandfeldzug Napoleons, der am 22. Juni 1812 begann, kam es im Herzogtum nochmals zu einer Nationalbewegung, die in der Proklamation vom 28. Juni 1812 über die Wiederherstellung des Königreiches Polen durch den Reichstag des Herzogtums Warschau gipfelte. Diese Proklamation des Reichstages (Sejm) wurde zwar am 12. Juli 1812 vom König von Sachsen bestätigt, da aber Kaiser Napoleon gegen diese Protest einlegte, insbesondere wegen der dort festgelegten Ansprüche auf das österreichische Königreich Galizien und Lodomerien, ist fraglich, ob die Erhebung zum Königreich rechtswirksam wurde.

 

Gegen Ende November war der Rußlandfeldzug bereits mit einer Niederlage beendet, und es gelang den Russen, am 8. Februar 1813 Warschau und am 13. Mai 1813 auch Krakau, die Zuflucht der Regierung des Herzogtums, einzunehmen, womit das gesamte Gebiet des Herzogtums russisch besetzt ist. Im März 1813 bildete die russische Regierung für das besetzte Herzogtum einen Obersten Rat und ein Zentralkomitee als Regierung des Herzogtums. Da der König von Sachsen auch 1813 noch Verbündeter Napoleons war, bestand für die Polen keine Hoffnung, daß dieser wieder in den Besitz des Herzogtums gelangen würde.

 

Die Schlußakte des Wiener Kongresses (Artikel I bis XIV) hat nach langen Verhandlungen über Einzelheiten am 3. Mai / 9. Juni 1815 bestimmt, daß Rußland das Herzogtum Warschau als Königreich Polen erhält. Das Königreich Polen hatte aber ganz andere Grenzen, als das Herzogtum Warschau bis 1813 sie hatte, denn ein Teil des Gebiets wurde an Preußen unter dem Titel eines Großherzogtums Posen zurückgegeben. Über Krakau konnte man sich überhaupt nicht einigen, so daß diese Stadt samt einem kleinen Gebiet zum Freistaat unter der Garantie Preußens, Österreichs und Rußlands erklärt wurde (Art. VI. - X. der Schlußakte). Das russische Königreich Polen erhielt durch Kaiser Alexander I. (der am 20. Juni 1815 den Titel "König von Polen" annimmt) am 27. November 1815 eine neue Verfassung.

 


Quellen:  K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 3.Bd., F.A. Brockhaus Leipzig 1833
http://www.law.uj.edu.pl/ (polnisch)
© 20. Dezember 2003 - 24. Dezember 2003


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