Konkordat
zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung von Litauen

 

vom 27. September 1927

Im Namen der Heiligsten und Ungeteilten Dreifaltigkeit

Seine Heiligkeit der Papst Pius XI und der Präsident der Republik Litauen, H. Antanas Smetona,

Beseelt von dem Wunsche, die Lage der katholischen Kirche in Litauen zu ordnen und die Leitsätze aufzustellen, die in würdiger und dauernder Weise die kirchlichen Angelegenheiten im Gebiete der Republik regeln sollen,

Sind übereingekommen, zu diesem Zwecke ein Konkordat abzuschließen.

Infolgedessen haben Seine Heiligkeit Papst Pius XI. und der Präsident der Republik Litauen, H. Antanas Smetona ihre entsprechenden Bevollmächtigten ernannt:

    Seine Heiligkeit:
    Seine Eminenz den Hochwürdigsten H. Kardinal Peter Gasparri, Seinen Staatssekretär;

    Der Präsident der Republik:
    Seine Exzellenz den H. Professor Augustinus Voldemaras, Ministerpräsident und Minister des Äußeren.

Die vorgenannten Bevollmächtigten haben nach gegenseitigem Austausch ihrer Vollmachten die folgenden Bestimmungen getroffen:

Artikel 1. Die katholische Kirche, ohne Unterschied der Riten, genießt in der Republik Litauen alle Freiheit, die notwendig ist zur Ausübung ihrer geistigen Macht und kirchlichen Jurisdiktion, sowie zur Verwaltung und Führung ihrer Geschäfte und ihrer Güter, gemäß den göttlichen Gesetzen und dem kanonischen Recht.

Artikel 2. Die Bischöfe, der Klerus und die Gläubigen werden frei und direkt mit dem Heiligen Stuhle verkehren. In der Ausübung ihrer Amtstätigkeit steht den Bischöfen der freie und unmittelbare Verkehr mit dem Klerus und den Gläubigen zu; auch können sie in gleicher Weise ihre Anweisungen, Verordnungen und Hirtenbriefe veröffentlichen.

Artikel 3. Um die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Litauen aufrechtzuerhalten, wird in Litauen ein Apostolischer Internuntius und beim Heiligen Stuhl ein Minister der Republik residieren.

Artikel 4. Die Zivilgewalt wird bei der Durchführung kirchlicher Entscheidungen und Beschlüsse ihre Hilfe leisten: im Falle der Amtsenthebung eines Geistlichen oder der Entfernung aus einem kirchlichen Benefizium; im Falle des Verbots, die geistliche Kleidung zu tragen; im Falle der Einkassierung von Taxen, die für kirchliche Zwecke bestimmt und durch die Staatsgesetze erlaubt sind.

Artikel 5. Die Geistlichen erfreuen sich bei ihrer Amtsausübung eines besonderen rechtlichen Schutzes. Gleich den Staatsbeamten sind sie durch das Gesetz begünstigt, das einen Teil ihres Einkommens von der richterlichen Beschlagnahme befreit.

Die Geistlichen in den Weihen, die Ordensleute in den Gelübde, die Schüler der Seminarien und die Novizen der Noviziate, sofern sie in ihren geistlichen oder Ordensberufe verharren, sind vom Militärdienst befreit, selbst für den Fall eines Krieges und einer allgemeinen Mobilisierung. Gleichfalls sind die Geistlichen befreit von Zivilämtern, die gemäß dem kanonischen Recht mit ihrem Berufe unvereinbar sind.

Artikel 6. Die Unverletzbarkeit der Kirchen, Kapellen und Friedhöfe wird gewährleistet, doch darf die öffentliche Sicherheit darunter nicht leiden.

Artikel 7. Die Armeen der Republik Litauen erfreuen sich aller Privilegien, die durch den Heiligen Stuhl gemäß den Vorschriften des kanonischen Rechts den Armeen verliehen werden. Die Militärgeistlichen üben ihre Amtstätigkeit unter der Jurisdiktion des Erzbischofs aus, dem das Anstellungsrecht zukommt.

Artikel 8. An den Sonntagen und am Nationalfeiertag verrichten die amtierenden Priester ein liturgisches Gebet für das Wohlergehen der Republik Litauen und ihres Präsidenten.

Artikel 9. Kein Teil der Republik Litauen wird einem Bischof unterstehen, dessen Amtssitz sich außerhalb der litauischen Staatsgrenzen befindet. Die Kirchenprovinz, deren Diözesen und Prälatur durch die Bulle "Lithuanorum gente" bestimmt sind, wird ohne vorhergehendes Einvernehmen mit der Regierung nicht geändert werden, abgesehen von der durch die Seelsorge bedingten Regulierung der Pfarreien. Auf jeden Fall werden die Grenzen der Kirchenprovinz, der Diözesen und der Prälatur mit den Grenzen des litauischen Staates zusammenfallen.

Artikel 10. Die Errichtung und Veränderung der kirchlichen Benefizien, der religiösen Kongregationen und Orden, sowie ihrer Häuser und Niederlassungen, hängen von der zuständigen kirchlichen Obrigkeit ab, die in den Fällen, wo die Maßnahmen Auslagen von seiten des Staates erfordern, nach stattgefundenem Einvernehmen mit der Regierung handeln wird. Die Kongregationen und Orden können sich in voller Freiheit in Litauen niederlassen und darin leben, wenn sie in der Republik eine nach den Bestimmungen des kanonischen REchts errichtete Provinz bilden.

Wenn sie diese Bedingung nicht erfüllen, aber im Staatsgebiet bereits existieren, so werden die im Augenblick der Ratifikation des gegenwärtigen Konkordats vorhandenen Häuser vom Staat anerkannt, doch können sie ohne eine besondere Gutheißung des Apostolischen Stuhles keine neuen Häuser eröffnen.

Artikel 11. Die Wahl der Bischöfe steht dem Heiligen Stuhle zu. Seine Heiligkeit ist bereit, vor der Ernennung des Erzbischofs und der Diözesanbischöfe, der Koadjutoren mit dem Rechte der Nachfolge, sich an den Präsidenten der Republik zu wenden, um sich uz vergewissern, daß der Präsident gegen diese Ernennung keine Einwände politischer Natur vorzubringen hat.

Artikel 12. Die oben erwähnten Ordinarien schwören vor Übernahme ihres Amtes in die Hände des Präsidenten der Republik einen Treueid nach folgender Formel:
"Ich schwöre und verspreche vor Gott und auf die heiligen Evangelien Treue der Republik Litauen, wie es einem Bischof geziemt. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßige Regierung loyal zu achten und dieselbe Achtung von meinem Klerus zu verlangen. Ferner schwöre und verspreche ich, keinen Vereinigungen beizutreten oder an Beratungen teilzunehmen, die dem litauischen Staat oder der öffentlichen Ordnung schaden könnten. Ich werden meinem Klerus die Teilnahme an solchen Veranstaltungen nicht gestatten. Besorgt um das Wohl und die Interessen des Staates werde ich jede Gefahr zu beseitigen trachten, von der ich weiß, daß sie ihm droht."

Artikel 13. 1. In allen öffentlichen oder vom Staat unterstützten Schulen ist der Religionsunterricht verpflichtend. Die zuständige kirchliche Behörde stellt für ihn den Lehrplan auf und wählt die Lehrbücher aus. Die Ernennung der Lehrer und die Überwachung des Religionsunterrichts, soweit sein Inhalt und die sittliche Führung der Lehrer in Betracht kommen, vollzieht sich in Übereinstimmung mit dem kanonischen Recht.

Für den Fall, daß der Bischof einem Lehrer die ihm erteilte Ermächtigung entzieht, verliert dieser von selbst das Recht, im Religionsfach zu unterrichten.

Die gleichen Grundsätze über die Wahl und die Abberufung der Lehrer werden angewandt auf die Professoren, Dozenten und Assistenten der philosophischen und theologischen Fakultät an den Universitäten, die der Staat auf seine Kosten unterhält.

2. Die katholische Kirche besitzt in allen Diözesen entsprechend den Bestimmungen des kanonischen REchts vom Staat unterstützte kirchliche Seminarien, die sie leitet und deren Lehrer sie ernennt.

Die von den Priesterseminarien ausgestellten Studienzeugnisse genügen zur Erteilung des Religionsunterrichts in allen öffentichen oder vom Staat unterstützten Schulen.

3. In allen öffentlichen und vom Staat unterstützten Schulen wird dieser im Einvernehmen mit den Bischöfen darüber wache, daß die Schüler ihre religiösen Pflichten in entsprechender Weise erfüllen können.

4. Was die Erziehung der katholischen Jugend angeht, so anerkennt der Staat die im Kanon 1381 den Bischöfen zugesprochenen Rechte, und der wird den gerechtfertigten Vorstellungen derselben Bischöfe Folge geben.

5. Alle vom Bischof abhängigen Schulen, die sich dem Lehrplan des Unterrichtsministeriums angleichen, sind bezüglich der Berechtigung ihrer Zeugnissee den Staatsschulen gleichgestellt.

Artikel 14. Die Geistlichkeit in Litauen ist ermächtigt, Geburts- und Tauf-, Ehe- und Sterberegister zu führen, die gemäß der Landesverfassung auch zivilrechtliche Geltung haben. Die Kirche liefert dem Staat Abschriften der Register des laufenden Jahres sowie der Register für die Aushebung des entsprechenden Jahrganges. Wenn die Arbeitsleistung zur Führung der Akten nicht von den Benutzern selbst bezahlt wird, wird der Staat dafür aufkommen.

Artikel 15. Die gemäß den Vorschriften des kanonischen Rechts geschlossenen Ehen erlangen eben dadurch die bürgerlichen Wirkungen.

Artikel 16. Kirchliche Personen, ihre Güter und die Güter der juristischen Personen, seien es Kirchen oder Ordensgesellschaften, unterliegen der gleichen Steuerpflicht wie die Personen und Güter der Bürger der Republik und der juristischen Personen von Laien, ausgenommen die für den Gottesdienst bestimmten Gebäude, die kirchlichen Seminarien, die Novizate der Ordensleute des einen und anderen Geschlechts, die Häuser, die von Ordensleuten männlichen oder weiblichen Geschlechts mit Armutgelübde bewohnt werden, ferner die Güter und Vermögenstitel, deren Erträgnisse für den Religionskultus bestimmt sind und das persönliche Einkommen der Benefiziaten nicht erhöhen. Die Wohngebäude der Bischöfe und des Pfarrklerus, sowie deren Amtsräume, werden von der Finanzverwaltung in derselben Weise behandelt wie die Amtswohnungen der Staatsbeamten und die Amtsräume der staatlichen Einrichtungen.

Artikel 17. Alle juristischen Personen kirchlichen oder Ordenscharakters haben entsprechend den Bestimmungen des gemeinen Rechts die Fähigkeit, bewegliche und unbewegliche Güter im Einklang mit dem kanonischen REcht zu erwerben, zu veräußern, zu besitzen und zu verwalten, sowie das Recht, vor jeder staatlichen Instanz oder Behörde die Verteidigung ihrer bürgerlichen Rechte zu führen.

Artikel 18. Die Republik garantiert das Recht der zuständigen Behörden, gemäß den Bestimmungen des kanonischen REchts die kirchlichen Funktionen, Ämter und Benefizien und übertragen. Auf die Verleihung von Pfarrbenefizien finden folgende Regeln Anwendung:

Ohne vorhergehende Genehmigung der Regierung können im Bereiche der litauischen Republik Pfarrbenefizien nicht erlangen: 1. die nichtnaturalisierten Fremden; 2. die Personen, deren Tätigkeit die Sicherheit des Staates gefährdet hat.

Vor den Ernennungen zu diesen Benefizien wird die kirchliche Behörde beim zuständigen Minister der Republik Erkundigungen einziehen, um sich zu vergewissern, daß keiner der unter 1. und 2. aufgezählten Gründe im Wege steht. Erhebt der vorerwähnte Minister nicht innerhalb einer Frist von 30 Tagen Einwände gegen die für die Ernennung in Aussicht genommene Persönlichkeit, so schreitet die kirchliche Behörde zur Ernennung.

Artikel 19. Das Patronatsrecht sowohl des Staates als der Privatpersonen bleibt bis zu einer neuen Vereinbarung in Kraft. Der Patronatsherr präsentiert innerhalb einer Frist von 30 Tagen einen würdigen Geistlichen für die freie Stelle auf Grund einer vom Bischof aufgestellten Liste mit drei Namen. ERfolgt die Präsentation nicht innerhalb 30 Tagen, so wird das Benefizium frei verfügbar. Für Pfarrbenefizien hat der Bischof, bevor er die Ernennung vollzieht, die Ansicht des zuständigen Ministers einzuholen gemäß Artikel 18.

Artikel 20. Wenn Geistliche oder Ordenspersonen wegen eines im Strafgesetz der Republik vorgesehenen Verbrechens vor einem Laiengerichtshof angeklagt werden, so haben diese Gerichte den zuständigen Bischof über jede Angelegenheit dieser Art sofort zu benachrichtigen und ihm den betreffenden Fall, die Anklageschrift und den richterlichen Entscheid mit seinen Bemerkungen zu unterbreiten. Der Bischof oder dessen Stellvertreter hat das Recht, nach Schluß des Prozesses die bezüglichen Akten einzusehen. Bei Verhaftung oder Gefangennahme der obengenannten Personen haben die Zivilbehörden jene Rücksichten zu nehmen, die sie dem Stande und dem hierarchischen grade derselben schulden.

Gefängnisstrafen verbüßen die Geistlichen und Ordensleute in Räumen, die von denen der Laien getrennt sind, wenn sie nicht etwa vom zuständigen Bischof ihrer kirchlichen Würde entkleidet worden sind. Werden sie durch richterlichen Spruch zur Haft verurteilt, so verbüßen sie diese Strafe in einem Kloster oder in einem anderen religiösen Hause an Orten, die dafür bestimmt sind.

Artikel 21. Die Bischöfe wachen darüber, daß alle Gläubigen nach den kirchlichen Regeln die seelsorgerliche Betreuung in ihrer Muttersprache empfangen.

Artikel 22. 1. Die Republik Litauen anerkennt die Eigentumsrechte der juristischen Personen kirchlichen und regulären Charakters auf alle beweglichen und unbeweglichen Güter, Kapitalien, Einkünfte und andere Titel, die diese juristischen Personen gegenwärtig im Gebiete des Staates besitzen.

2. Die Republik Litauen ist damit einverstanden, daß die oben erwähnten Eigentumsrechte, falls sie in die Hypothekarregister oder andere gleichwertige Rechtsdokumente noch nicht auf die Namen der sie besitzenden juristischen Personen (Bistümer, Kapitel, Kongregationen, Orden, Seminarien, Pfarrbenefizien, andere Benefizien usw.) eingetragen sind, fort eingetragen werden, und zwar auf Grund einer Erklärung des zuständigen Bischofs, die von der zuständigen Zivilbehörde beglaubigt ist.

3. Die Frage der unbeweglichen Güter, die der Kirche durch Rußland entzogen worden sind und die sich gegenwärtig im Besitz des litauischen Staates befinden, wird der Regelung durch ein späteres Abkommen vorbehalten.

4. Die Güter, die die Republik Litauen von den anderen Staaten zurückgewinnt und die früher der Kirche gehört haben, werden ihr gemäß dem kanonischen Recht zurückerstattet werden.

Artikel 23. Die Summen, die von der Republik ausgezahlt werden, entsprechend dem durch das geltende Gesetz aufgestellten Budget, unter den Namen der Diözesen von Samogitie und Seinei sowie der Apostolischen Administratur von Vilnius bzw. der Erzdiözese von Kaunas und der Diözesen von Vilnius und Kaisedorys, werden ebenfalls und in demselben Verhältnis den neuen Diözesen von Telsiai und Panevezys ausgezahlt werden. Der Staat verpflichtet sich außerdem, diese Einkünfte in demselben Grade zu erhöhen, wie es für die übrigen Zweige der staatlichen Verwaltung geschehen wird.

Ein späteres Abkommen zwischen den Hohen vertragschließenden Teilen wird alles dasjenige regeln, was sich auf die Erhaltung der Kirchen und der anderen kirchlichen Gebäude sowie auf die im Interesse der Seelsorge erforderlichen Neubauten bezieht.

Artikel 24. Der Erzbischof, die Bischöfe, der Klerus sowie der Lehrkörper in den Priesterseminarien haben Anrecht auf Pensionierung. Ihr Anteil an der Pensionskasse wird durch ein späteres Übereinkommen mit den Bischöfen geregelt.

Artikel 25. Der Staat gewährt vollkommene Freiheit in der Organisation und Betätigung der Vereine, die einen wesentlich religiösen Zweck verfolgen, einen Teil der Katholischen Aktion bilden und als solche von der bischöflichen Autorität abhängen.

Artikel 26. Alle Gesetze, Verordnungen oder Dekrete, die den Bestimmungen der vorstehenden Artikel widerstreiten, sind beim Eintritt der Rechtskraft des gegenwärtigen Konkordats ohne weiteres ungültig.

Artikel 27. Die in Litauen gelegenen Kirchengüter, die juristischen Personen kirchlichen oder regulären Charakters gehören, die ihren Sitz außerhalb der Grenzen des litauischen Staates haben, und umgekehrt, werden den Gegenstand eines besonderen Übereinkommens bilden.

Artikel 28. Das gegenwärtige Konkordat tritt mit dem Tage des Austausches der Ratifikationsurkunden in Kraft.

    Rom, den 27. September 1927

Pierre Kard. Gasparri

S. Augustinas Voldemaras

 


Quellen: Lothar Schöppe, Konkordate seit 1800, S. 290ff.
© 9. Dezember 2007


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