Gesetz über die Einführung des Grundgesetzes der Republik Estland

 

vom 28. Juni 1992
in Kraft getreten am 29. Juni 1992

 

§ 1. Das Grundgesetz tritt am nächsten Tage nach seiner Annahme durch Volksabstimmung in Kraft und wird in dem in diesem Gesetz vorgesehenen Verfahren verwirklicht.

Die Kompetenzen des Obersten Rates der Republik Estland und des Estnischen Kongresses (der Volksdeputierten) werden mit der Bekanntgabe des Ergebnisses der Wahlen zur Staatsversammlung beendet.

Bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse der Wahlen zur Staatsversammlung erfüllt der Oberste Rat der Republik Estland alle gesetzgeberischen Funktionen.

Die vom Obersten Rat der Republik Estland im Amt bestätigte Regierung der Republik wird mit dem Amtsantritt der von der Staatsversammlung gebildeten Regierung vom Amt befreit.

§ 2. Die derzeit in der Republik Estland geltenden Rechtsakte gelten nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes in dem Umfang, wie sie weder dem Grundgesetz noch diesem Gesetz zur Einführung des Grundgesetzes widersprechen und so lange, bis sie entweder für ungültig erklärt oder in völlige Übereinstimmung mit dem Grundgesetz gebracht wurden.

Im Falle des Zweifels über die Übereinstimmung eines Rechtsaktes mit dem Grundgesetz und diesem Gesetz zur Einführung des Grundgesetzes wird die Frage vom Staatsgerichtshof entschieden.

§ 3. Die Wahlen zur Staatsversammlung und zum Präsidenten der Republik nach Inkrafttreten des Grundgesetzes werden vom Obersten Rat anberaumt, welcher den Zeitplan der Wahlen festlegt. Die Wahlen müssen spätestens am 27. September 1992 erfolgen.

Das Mandat der ersten Zusammensetzung der Staatsversammlung nach Annahme des Grundgesetzes gilt ausnahmsweise nur drei Jahre.

Zur ersten Sitzung wird die Staatsversammlung durch den Vorsitzenden der Staatlichen Wahlkommission oder seinen Stellvertreter binnen zehn Tagen nach Verkündigung der Wahlergebnisse einberufen.

Der Leiter der Staatlichen Wahlkommission oder sein Stellvertreter leitet die Tätigkeit der Staatsversammlung bis zur Wahl ihres Vorsitzenden.

Bis zur Annahme der Geschäfts- und Hausordnung der Staatsversammlung ist die Staatsversammlung entscheidungsbefugt, wenn an der Sitzung mindestens die Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung teilnimmt.

Im Grundgesetz bedeutet:
- Mehrheit der Zustimmungen: mehr Zustimmungen als Gegenstimmen;
- Zweidrittelmehrheit der Zustimmungen: wenigstens zweimal soviele Zustimmungen als Gegenstimmen;
- Vierfünftelmehrheit: viermal soviele Zustimmungen als Gegenstimmen;
- Mehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung: dafür stimmen über die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl der Staatsversammlung;
- Zweidrittelmehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung: dafür stimmen mindestens zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Staatsversammlung;
- Dreifünftelmehrheit der Zusammensetzung der Staatsversammlung: dafür stimmen mindestens drei Fünftel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Staatsversammlung.

Vor der Verkündung der Wahl der Staatsversammlung und des Präsidenten der Republik setzen Informativakte des Obersten Rates die Wahlen des Präsidenten und das Gehalt und die sozialen Garantien der Abgeordneten der Staatsversammlung und des Präsidenten in Kraft.

§ 4. Die §§ 78 Ziffer 11 und 79 werden nach dem Amtsantritt des aufgrund der vorliegenden Paragraphen gewählten Präsidenten der Republik angewendet.

Anläßlich des Inkraftsetzens des Grundgesetzes wird ausnahmsweise der Präsident der Republik gleichzeitig mit den Wahlen zur Staatsversammlung in allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen in geheimer Abstimmung mit der Mehrheit der an den Wahlen teilnehmenden Stimmen auf vier Jahre gewählt. Wenn kein Kandidat über die Hälfte der bei den Wahlen abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt hat, wählt die Staatsversammlung den Präsidenten der Republik innerhalb von zehn Tagen, gerechnet vom Tage ihres Zusammentretens, aus den beiden Kandidaten, welche bei der Wahl die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten. Das genaue Verfahren der Wahl des Präsidenten der Republik wird durch das Gesetz über die Wahlen des Präsidenten der Republik festgelegt.

Das Recht der Aufstellung eines Kandidaten für den Präsidenten der Republik haben mindestens 10.000 stimmberechtigte Staatsbürger der Republik Estland.

Eine Person, welche zum Amt es Staatspräsidenten kandidiert, darf nicht gleichzeitig zur Staatsversammlung kandidieren.

§ 5. Das Inkrafttreten des Grundgesetzes bringt nicht automatisch die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der bisherigen Staatsorgane mit sich.

Die Vollmachten des von dem Obersten Rat der Republik Estland befristet ernannten Staatskontrolleurs, des Präsidenten der Estnischen Bank, des Vorsitzenden und der Mitglieder des Staatsgerichtshofes gelten bis zu ihrer anläßlich ihrer Ernennung bestimmten Frist.

Die Kandidaten für die in § 78 Ziffer 11 genannten und in Absatz 2 dieses Paragraphen nicht genannten Amtspersonen stellt der Präsident der Republik innerhalb von 60 Tagen nach seinem Amtsantritt der Staatsversammlung vor.

§ 6. Bis zum 31. Dezember des Jahres 2000 haben Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republik, die Kandidaten für die Staatsversammlung und die Abgeordnetenversammlung der örtlichen Selbstverwaltungen sowie Bewerber für das Amt des Ministerpräsidenten, eines Ministers, des Vorsitzenden der Staatsversammlung, eines Mitglieds der Staatsversammlung, eines Richters, des Justizkanzlers, des Staatskontrolleurs, des Präsidenten der Erstnischen Bank, des Befehlshabers oder des Oberbefehlshabers der Streitkräfte sowie für ein beliebiges wählbares oder ernennbares Staatsamt oder in ein Organ der staatlichen oder örtlichen Verwaltung schriftlich eine eidesstaatliche Erklärung abzugeben, daß sie weder im Dienst der Sicherheitsorgane sowie der Spionage oder Gegenspionage eines Estland okkupierenden Staates gewesen noch ihr Agent waren und auch nicht an der Verfolgung oder Unterdrückung der Bürger wegen ihrer politischen Überzeugung, Illoyalität, Klassenzugehörigkeit oder weil sie im Staats- oder Militärdienst der Republik Estland gestanden sind, teilgenommen haben.

Wenn das Gericht feststellt, daß die eidesstaatliche Erklärung nicht der Wahrheit entspricht, wird der Name des Kandidaten aus der Wahlliste gestrichen oder sein Mandat erlischt oder Personen, genannt im ersten Abatz dieses Paragraphen, werden nicht auf entsprechende Amtsposten ernannt oder werden von ihnen befreit.

§ 7. Eine Person, welche in einem im § 6 Absatz 1 genannten Amt verbleiben möchte, welches sie vor dem Zusammentreten der Staatsversammlung einnahm, muß innerhalb von 30 Tagen, gerechnet vom Zusammentreten der Staatsversammlung, eine schriftliche eidesstattliche Erklärung abgeben. Wenn die Person sich weigert, eine schriftliche eidesstattliche Erklärung abzugeben oder das Gericht feststellt, daß die eidesstattliche Erklärung nicht der Wahrheit entspricht, wird die Person des Amtes enthoben.

Das Verfahren der Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung wird vom Obersten Rat vor der Anberaumung der Wahlen zur Staatsversammlung und zum Präsidenten der Republik in Kraft gesetzt.

§ 8. Im Laufe der drei auf die Annahme der Grundgesetzes durch Volksabstimmung folgenden Jahre hat die Staatsversammlung das Recht, Grundgesetzänderungen im Dringlichkeitsverfahren mit Zweidrittelmehrheit anzunehmen. Die Entscheidung, einen Grundgesetzänderungsentwurf im Dringlichkeitsverfahren anzunehmen, wird mit Mehrheit der zustimmenden Stimmen angenommen.

Das Recht auf Einleitung einer Grundgesetzänderung haben in den ersten drei auf die Annahme des Grundgesetzes durch Volksabstimmung folgenden Jahren in Form eines Volksbegehrens auch mindestens 10.000 wahlberechtigte Staatsbürger. Ein durch Volksbegehren eingeleiteter Grundgesetzänderungsvorschlag wird von der Staatsversammlung als eilig auf die Tagesordnung gesetzt und nach dem im ersten Absatz dieses Paragraphen vorgesehenen Verfahrens entschieden.

§ 9. Das vorliegende Gesetz ist zusammen mit dem Grundgesetz durch Volksabstimmung am 28. Juni 1992 angenommen worden. Das Gesetz tritt zusammen mit dem Grundgesetz in Kraft.

Das Gesetz zur Einführung des Grundgesetzes kann durch das in dem Grundgesetz vorgesehene Verfahren geändert werden.

Die Übergangsbestimmungen zum estnischen Grundgesetz von 1992; das Gesetz ist größtenteils gegenstandslos, doch haben die noch geltenden Bestimmungen Verfassungsrang.
 


Quellen: Staatsanzeiger (Riigi teataja), 1992, Nr. 26 Nr. 350
Roggemann, Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas, Berlin Verlag, 1999
© 22. Juni 2007


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